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4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
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oder auch ‚reine‘ Musik – „Musik ohne Text“ – offerieren hingegen stets freie
Schönheit, da sie „für sich nichts“ meinen, also keine begriffliche Bedeutung ein-
schließen und gänzlich ästhetisch rezipiert werden: „In der Beurteilung einer
freien Schönheit (der bloßen Form nach) ist das Geschmacksurteil rein.“918 Kants
Satz sowie dessen explizite Betonung der ‚bloßen Form‘, auf der die ästhetische
Beurteilung beruhe, machen deutlich, wieso Kants Lehre – die transzendentale
Kunstphilosophie – als historische Grundlegung des allgemeinen ästhetischen
Formalismus angesehen werden konnte.
Zugleich wird aber auch klar, dass Kants Text hier eine begrenzte Thema-
tik behandelt und nur mit der ästhetischen Beurteilung – dem ‚reflektierenden‘
Geschmacksurteil –, nicht jedoch seinem jeweiligen Gegenstand – dem schönen
Kunstwerk – befasst ist, der aus der „Analytik des Schönen“ nicht unmittelbar
erschließbar ist. Insofern Rachel Zuckert die formalen Elemente von Kants Kri-
tik der Urteilskraft nur aus der Beschreibung der Perspektive des Subjekts dedu-
ziert, Kants Theorie der ‚schönen Künste‘ folglich ignoriert und damit einzig
Kants Idee der „aesthetic purposive form in general“ erörtert, ist für sie der
vermeintliche Formalismus von Kants System nie zur Disposition gestanden.919
Wie Robert Stecker jedoch korrekt bemerkt: „to focus exclusively on Kant’s
general account of pure judgments of taste entails ignoring a good deal of the
complexity of Kant’s aesthetic theory.“ Die philosophische Differenzierung von
verschiedenen Ausprägungen der Kategorie ‚Schönheit‘ beweise vielmehr, „that
not all appreciation of beauty is captured by the notion of a pure aesthetic judg-
ment“.920 Da Kants Lehre vom ‚freien‘ Schönen aus der ästhetischen Beurteilung
von natürlichen Objekten resultierte und künstlerische Gegenstände lediglich
sekundär einbezieht, könnte generell vermutet werden, dass Letztere notwen-
dig anhängende Schönheit einschließen und nie rein ästhetisch aufgefasst wer-
den können. Dies meint aber nicht, dass Kant eine formale Theorie von natürli-
chen Schönheiten und eine expressive Konzeption der ‚schönen Künste‘ etabliert
hat, wie D. W. Gotshalk vermutete,921 da die universale Definition des ‚reinen‘
918 Ebda., S. 84 (§16, A229).
919 Rachel Zuckert, „The Purposiveness of Form: A Reading of Kant’s Aesthetic Formal-
ism“, in JHP 44/4 (2006), S. 599–622, hier S. 613. Als ein weiteres Beispiel vgl.: Beard/
Gloag, Musicology (wie Anm. 247), S. 65f.
920 Stecker, „Free Beauty“ (wie Anm.Â
916), S.Â
89. Vgl.: Donald W. Crawford, Kant’s Aesthetic
Theory, Madison 1974, S. 92; Ruth Lorand, „The Purity of Aesthetic Value“, in JAC 50/1
(1992), S. 13–21, hier S. 14; Garratt, „Values“ (wie Anm. 900), S. 26.
921 D. W. Gotshalk, „Form and Expression in Kant’s Aesthetics“, in BJA 7/3 (1967), S. 250–
260, hier S.Â
260. Für eine vergleichbare Interpretation siehe etwa auch: Mary A. McClos-
key, Kant’s Aesthetic, London 1987, S. 138. Siehe hierzu primär Guyers Antwort auf die
Deutung Gotshalks: „Formalism and the Theory of Expression in Kant’s Aesthetics“, in
KS 68/1 (1977), S. 46–70.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423