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4.1. Die Wiege des ästhetischen Formalismus? – Kants Kritik der Urteilskraft
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Schönen in beiden Fällen auf dem gleichen Grundsatz aufbaut.922 Um nun Kunst
als Kunst adäquat zu erfassen, muss man ihre kategoriale Einordnung registrie-
ren, d.h. eine ästhetische Rezeption des künstlerischen Gegenstandes erfordert
zwingend das Konzept ‚Kunst‘ und ist demnach geistiger beschaffen als die ästhe-
tische Beurteilung von natürlicher Schönheit:923
Wenn aber der Gegenstand für ein Produkt der Kunst gegeben ist und als sol-
ches für schön erklärt werden soll, so muß, weil Kunst immer einen Zweck in
der Ursache (und deren Kausalität) voraussetzt, zuerst ein Begriff von dem zum
Grunde gelegt werden, was das Ding sein soll; und da die Zusammenstimmung
des Mannigfaltigen in einem Dinge zu einer inneren Bestimmung desselben als
Zweck die Vollkommenheit des Dinges ist, so wird in der Beurteilung der
Kunstschönheit zugleich die Vollkommenheit des Dinges in Anschlag gebracht
werden müssen, wonach in der Beurteilung einer Naturschönheit (als einer sol-
chen) gar nicht die Frage ist.924
Aber auch ohne die philosophischen Schwierigkeiten dieser beiden Schön-
heits-Kategorien mit der vertrackten Beziehung zu Natur und Kunst prinzipi-
ell abzuklären, macht Kants Ansatz fraglos deutlich, dass die reine Form eines
gegebenen Gegenstands niemals genügt, um ihn als Kunstwerk auszuweisen.
In Kants Worten ist „schöne Kunst […] eine Vorstellungsart, die für sich selbst
zweckmäßig ist und, obgleich ohne Zweck, dennoch die Kultur der Gemüts-
kräfte zur geselligen Mitteilung befördert“.925 Wenn der betreffende Gegen-
stand diese minimale Vorgabe verfehlt, müsste dieser zwar nicht aus der Klas-
se ‚Kunst‘ zwingend entfernt werden; er ist aber nicht mehr ‚schöne Kunst‘,
sondern lediglich angenehmer Zeitvertreib, mithin einzig Kunst, die auf „die
augenblickliche Unterhaltung, nicht auf einen bleibenden Stoff zum Nachden-
ken oder Nachsagen angelegt ist“.926 Um vom Angenehmen zur wahrhaften
Schönheit aufzusteigen, müsste ‚schöne Kunst‘ – neben ihrer formalen Ge-
922 Kant, Kritik der Urteilskraft (wie Anm.Â
40), S.Â
211 (§51, A320). Vgl.: Robert J. Yanal, „Kant
on Aesthetic Ideas and Beauty“, in ders., George Dickie’s Philosophy (wie Anm.Â
437), S.Â
157–
183, hier S. 172–175; Christopher Dowling, „Zangwill, Moderate Formalism, and
An other Look at Kant’s Aesthetic“, in Kantian Review 15/2 (2010), S. 90–117, hier S. 106–
108.
923 Stecker, „Free Beauty“ (wie Anm. 916), S. 89; Anthony Savile, „Kant’s Aesthetic The-
ory“, in A Companion to Kant, hrsg. von Graham Bird, Malden/Oxford/Carlton 2006,
S. 441–454, hier S. 443; Zuckert, „Aesthetic Formalism“ (wie Anm. 919), S. 603.
924 Kant, Kritik der Urteilskraft (wie Anm. 40), S. 198f. (§48, A311). Kant hatte zuvor eine
begriffliche Bestimmung (§6, A211–212) und die klassische Kategorie der künstlerischen
Vollkommenheit (§15, A 226–229) vom ästhetischen Geschmacksurteil ausdrücklich dif-
ferenziert, was für künstlerische Gegenstände aber nicht mehr gilt.
925 Ebda., S. 191 (§44, A306).
926 Ebda., S. 191 (§44, A305).
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423