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4.1. Die Wiege des Ă€sthetischen Formalismus? â Kants Kritik der Urteilskraft
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Musik â das ist fĂŒr diese Epoche wesentlich frappanter â folgt gleich danach,
âwenn es um Reiz und Bewegung des GemĂŒts zu tun istâ.932 Diese These wird
aber der âreinenâ Musik umgehend gefĂ€hrlich, weil âReiz und RĂŒhrungâ fĂŒr
Kant nie Ă€sthetisch bedeutend sind, kĂŒnstlerische GegenstĂ€nde als lediglich
angenehm ausweisen sowie deren normative Verortung als schönes Objekt letzt-
endlich untergraben.933 FĂŒr Kant ist âreineâ Musik die âSprache der Affekteâ,934
was ihre klar limitierte FĂ€higkeit, einen objektiven Gedanken darzustellen, auf
Àsthetische Ideen beschrÀnkt, die mit affektiven Mitteilungen verbunden sind.
Sie ist fĂŒr ihn ohne jede semantische Bedeutung, da sie âdurch lauter Empfin-
dungen ohne Begriffeâ spreche, keinerlei Persistenz offeriere, vollkommen
transitorisch sei und zur geistigen Reflexion somit nichts ĂŒbrig lasse.935 âReineâ
Musik, so Kants Urteil, sei âmehr GenuĂ als Kultur [âŠ] und hat, durch Vernunft
beurteilt, weniger Wert als jede andere der schönen KĂŒnsteâ.936 Wenn also alle
anderen âschönen KĂŒnsteâ eine begriffliche Bedeutung einschlieĂen, ist die Ă€sthe-
tische Wertigkeit der musikalischen Komposition mit der formalen Gestaltung
gegeben, die nur ein Kriterium der Kantâschen Urteilskritik adĂ€quat erfĂŒllen.
Kants Theorie legt zwar fest, dass mathematische Komponenten der musikali-
schen Formgebung nur die conditio sine qua non der allgemeinen Mitteilbarkeit
des Urteils âschönâ wĂ€ren, weshalb selbige âan dem Reize der GemĂŒtsbewegung,
welche die Musik hervorbringt [âŠ] nicht den mindesten Anteilâ hĂ€tten,937 rĂ€umt
diesen aber doch eine höhere Position ein als Hanslick, der schlicht leugnet, dass
etwas âmusikalisch berechnetâ wĂ€re:938
An dieser mathematischen Form, obgleich nicht durch bestimmte Begriffe vor-
gestellt, hĂ€ngt allein das Wohlgefallen, welches die bloĂe Reflexion ĂŒber eine
solche Menge einander begleitender oder folgender Empfindungen mit diesem
Spiele derselben als fĂŒr jedermann gĂŒltige Bedingung seiner Schönheit ver-
knĂŒpft; und sie ist es allein, nach welcher der Geschmack sich ein Recht ĂŒber das
Urteil von jedermann zum voraus auszusprechen anmaĂen darf.939
932 Ebda., S. 222 (§53, A328).
933 Ebda., S. 74f. (§13, A223).
934 Ebda., S. 223 (§53, A328).
935 Ebda., S. 222 (§53, A328).
936 Ebda., S. 222 (§53, A328), S. 224 (§53, A330).
937 Ebda., S. 224 (§53, A329). Giordanetti betont jedoch zu Recht, dass sich Kants Worte auf
die affektive Wirkung der musikalischen Komposition konzentrieren und nicht auf deren
strukturelle Verfasstheit: âMusik bei Kantâ, in MK 11 (2007), S. 123â136, hier S. 128.
938 Vgl.: âDie Mathematik regelt blos den elementaren Stoff zu geistfĂ€higer Behandlung und
spielt verborgen in den einfachsten VerhÀltnissen, aber der musikalische Gedanke kommt
ohne sie ans Lichtâ (VMS, S. 97). Vgl.: Landerer/Zangwill, âDeleted Endingâ (wie
Anm. 67), S. 88f.
939 Kant, Kritik der Urteilskraft (wie Anm. 40), S. 223 (§53, A329). Vgl.: Wilfing, âIdealismus
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, MusikĂ€sthetik, Musik und GefĂŒhl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die âidealistischeâ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die âösterreichischeâ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang â Hanslicks âtönend bewegte Form[en]â 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik â Ăsthetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ăbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone MusikÀsthetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang â Hanslickâsche Rezensionen in Dwightâs Journal of Music 176
- 4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- AbkĂŒrzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423