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4.1. Die Wiege des Ă€sthetischen Formalismus? â Kants Kritik der Urteilskraft
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philosopher to call attention to disinterested perceptionâ war.961 Dies betrifft
ebenso Hanslicks Annahme, dass Schönheit keinen anderen Zweck als sich
selbst hÀtte, die auf den ersten Blick aus Kants Lehre der zweckfreien Zweck-
mĂ€Ăigkeit hervorgeht und die in Hanslicks VMS-Traktat ohne jede weiter-
gehende Argumentation als vermeintliche Grundwahrheit proklamiert wird.
Wenn dies auch heute höchst strittig ist, war ein derartiger Standpunkt im
19. Jahrhundert bereits derart ĂŒblich, dass eine detaillierte BegrĂŒndung oder
eine direkte Referenz auf Kants Kritik nicht nötig war, von der sich dieser
Ansatz bereits gelöst hatte.962 Ferdinand Hand, dessen Ăsthetik der Tonkunst
(1837â1841) Hanslick sicherlich bekannt war,963 schrieb hierzu etwa: âEs ist
das Kunstwerk sich selbst Zweck; es will und soll ĂŒberall nur schön seyn.â964
Dies gilt auch fĂŒr Tieck, der mit der Herausgabe von Wackenroders Phantasien
ĂŒber die Kunst (1799) den romantischen Musikdiskurs entscheidend mitgestal-
tete: Musik, so Tieck, âphantasirt spielend und ohne Zweck, und doch erfĂŒllt
und erreicht sie den höchstenâ.965 Und Karl Philipp Moritz hatte einen solchen
Gedanken schon ganze fĂŒnf Jahre vor Kants Kritik der Urteilskraft eindeutig
formuliert:966
Da das NĂŒtzliche seinen Zwek nicht in sich, sondern auĂer sich in etwas anderm
hat, dessen Vollkommenheit dadurch vermehrt werden soll; so muĂ derjenige,
welcher etwas NĂŒtzliches hervorbringen will, diesen Ă€uĂern Zwek bei seinem
Werke bestĂ€ndig vor Augen haben. Und wenn das Werk nur seinen Ă€uĂern
Zwek erreicht, so mag es ĂŒbrigens in sich beschaffen sein, wie es wolle; dies
kömmt, in so fern es bloĂ nĂŒtzlich ist, gar nicht in Betracht. [âŠ] Bei dem Schö-
nen ist es umgekehrt. Dieses hat seinen Zwek nicht auĂer sich, und ist nicht
wegen der Vollkommenheit von etwas anderm, sondern wegen seiner eignen
innern Vollkommenheit da. Man betrachtet es nicht, in so fern man es brauchen
961 Jerome Stolnitz, âOn the Origins of âAesthetic Disinterestednessââ, in JAC 20/2 (1961),
S. 131â143, hier S. 132. Vgl.: ders., âOn the Significance of Lord Shaftesbury in Modern
Aesthetic Theoryâ, in PQ 11 (1961), S. 97â113, hier S. 98. Stolnitzâ Theorie wird inzwi-
schen skeptischer betrachtet: Dabney Townsend, âShaftesburyâs Aesthetic Theoryâ, in
JAC 41/2 (1982), S. 205â213, hier S. 211f.; Guyer, Experience of Freedom (wie Anm. 950),
S.Â
48â61; ders., âThe Origins of Modern Aesthetics: 1711â35â, in Kivy, Blackwell Aesthetics
(wie Anm. 351), S. 15â44, hier S. 27f.
962 Henneberg, Musikalisches Kunstwerk (wie Anm. 107), S. 176.
963 VMS, S. 40 und 149â151; Hanslick, Aus meinem Leben (wie Anm. 17), S. 30.
964 Ferdinand Hand, Aesthetik der Tonkunst, Leipzig 1841, Bd. 2, S. 39. Zu Hands Einfluss auf
Hanslick siehe etwa auch: Printz, WĂŒrdigung Hanslicks (wie Anm. 107), S. 10f.; Grimm,
Prager Zeit (wie Anm. 16), S. 117â137; Bonds, Absolute Music (wie Anm. 31), S. 166â169.
965 Wilhelm Heinrich Wackenroder, Phantasien ĂŒber die Kunst fĂŒr Freunde der Kunst, hrsg. von
Ludwig Tieck, Hamburg 1799, S. 261.
966 Zu Moritzâ Aufsatz siehe vor allem Dahlhaus, âKarl Philipp Moritz und das Problem
einer klassischen MusikĂ€sthetikâ, in IRASM 9/2 (1978), S. 279â294, der Moritzâ und
Kants Lehre als das direkte Resultat des pietistischen Hintergrunds der beiden auslegt.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, MusikĂ€sthetik, Musik und GefĂŒhl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die âidealistischeâ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die âösterreichischeâ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang â Hanslicks âtönend bewegte Form[en]â 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik â Ăsthetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ăbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone MusikÀsthetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang â Hanslickâsche Rezensionen in Dwightâs Journal of Music 176
- 4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- AbkĂŒrzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423