Seite - 200 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Bild der Seite - 200 -
Text der Seite - 200 -
4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
200
‚logic‘.“974 Kivy hatte schon früher ein ähnliches Argument entwickelt, das auf
Hanslicks Nennung des „Kant-like“ Begriffs ‚Arabeske‘ abzielt,975 der bei Kant
– ungeachtet verbreiteter Überzeugung – aber nicht fällt.976 Dieser Begriff legt
aber eine andere wichtige Textquelle Hanslicks – die Vorlesungen über Musik
(1826) von Nägeli – nahe, wo die ‚Arabeske‘ und das ‚freie Spiel‘ Kants promi-
nent eingeführt und für die figürliche Illustration von ‚reiner‘ Musik benutzt
werden, die für Nägeli ein „durchaus und durchaus spielendes Wesen ist […],
weiter nichts. Sie hat auch keinen Inhalt, wie man sonst meinte, und was man
ihr auch andichten wollte. Sie hat nur Formen, geregelte Zusammenverbindung
von Tönen und Tonreihen zu einem Ganzen.“977 Folglich beweist Kivys These,
die Hanslicks Argument als negative Reaktion auf den Kant’schen Zwiespalt
der ‚reinen‘ Musik begriff – und die sich auch gegen Hegels System richten
könnte –, nicht, dass Hanslicks VMS-Traktat von Kants Kritik der Urteilskraft
ursächlich abhängen würde oder eine unmittelbare Entwicklung von Kants
Lehre des ‚freien‘ Schönen wäre.978 Kivys These scheint jedoch gänzlich un-
haltbar, wenn man sie mit Hanslicks Definition von Inhalt und Form in Bezug
setzt, die von Kants Lehre deutlich differiert.
Denn wenn Kant ‚Form‘ nie ohne ihr traditionelles Gegengewicht – also
ohne begriffliche Bedeutung und semantische Konnotation – denken konnte,979
974 Kivy, Introduction to Philosophy (wie Anm. 356), S. 63. Für ein deutsches Gegenstück zu
Kivys These siehe etwa auch: Grlić, „Versuch eines Zugangs“ (wie Anm. 229), S. 129.
975 Peter Kivy, Music Alone (wie Anm. 414), S. 101f. Für einige weitere Parallelen von Hans-
lick und Kant bei Kivy vgl.: Fine Art (wie Anm. 562), S. 256, 293, 345 und 348.
976 Kant gibt zwar „Zeichnungen à la grecque, das Laubwerk zu Einfassungen oder auf
Papiertapeten usw“ als einzelne Beispiele des ‚freien‘ Schönen, benutzt hierbei jedoch nie
den Begriff ‚Arabeske‘: Kant, Kritik der Urteilskraft (wie Anm.Â
40), S.Â
84 (§16, A229). Wenn
Glatt etwa sagt, dass Kant das ‚freie‘ Schöne „an Zeichnungen von Arabesken“ erläutert
(Eduard Hanslick [wie Anm. 34], S. 53) und §16 als einzigen Nachweis gibt, wird ihm der
Begriff ‚Arabeske‘ schlechthin unterstellt.
977 Hans Georg Nägeli, Vorlesungen über Musik mit Berücksichtigung der Dilettanten, Stuttgart/
Berlin 1826, S. 32. Für Nägelis ‚Arabeske‘ siehe auch: ebda., S. 45. Vgl.: Wilfing, „Hans-
lick’s Kantianism?“ (wie Anm. 107). Siehe aber auch: Panaiotidi, „Alexandr Mikhailov“
(wie Anm. 29), S. 77f.
978 In Hegels Ästhetik findet sich dieses kantische Dilemma der mangelnden begrifflichen
Bestimmtheit von ‚reiner‘ Musik, die ohne einen „Inhalt“ den schönen Künsten „noch
nicht eigentlich“ beigezählt werden könnte, analog wieder: Georg Wilhelm Friedrich
Hegel und Heinrich Gustav Hotho, Vorlesungen über die Ästhetik, hrsg. von Eva Molden-
hauer und Karl Michel, Frankfurt 1986, Bd. 3, S. 148f. Vgl.: Wilfing, „Hanslicks Ästhe-
tik“ (wie Anm. 453).
979 Der Kant’sche Kunstbegriff wird etwa von Christel Fricke als semantischer Gegenstand
eingeschätzt: „Kants Theorie der schönen Kunst“, in Parret, Kants Ästhetik (wie
Anm.Â
973), S.Â
674–689, hier S.Â
685–689. Für Kirk Pillow ist dieser sogar gänzlich erhaben
geartet: Aesthetic Reflection (wie Anm. 930), Kap. 3.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423