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4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
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beautiful object, not the feeling of the subject“ übertrug.988 Das mag hier zwar
noch nach Hanslicks Opposition zur emotivistischen Musikästhetik klingen,
verfehlt jedoch dessen eigentlichen Kritikpunkt, da er sich hier nicht gegen
Gefühle des Subjekts (‚feelings of the subject‘), sondern gegen das empfindende
Individuum als ästhetischen Gradmesser positioniert, wie Cohen passend über-
setzt,989 was Hanslicks Definition dieser häufig ambivalenten Begriffsbildung
fraglos einfängt: „Empfindung ist das Wahrnehmen einer bestimmten Sinnes-
qualität: eines Tons, einer Farbe. Gefühl das Bewußtwerden einer Förderung
oder Hemmung unsres Seelenzustandes, also eines Wohlseins oder Mißbeha-
gens“ (VMS, S. 27).
Hanslick hat das zentrale Kriterium von Kants Kritik der Urteilskraft – die
transzendentale Untersuchung des Subjekts und der apriorischen Bedingungen
des reflektierenden Geschmacksurteils – somit direkt negiert und daher dessen
‚Kopernikanische Revolution‘, das Herzstück des Deutschen Idealismus, nie-
mals befolgt.990 Bereits Carrière hält reichlich kritisch fest, dass Hanslick die
methodische Ausrichtung von Kants Lehre „vornehm ignorirt oder für einen
überwundenen Standpunkt hält, nicht in dem Sinne, daß man von demselben
aus weiter gegangen wäre, sondern daß man ihn für falsch ansieht“.991 Somit
existieren jedenfalls zwei gewichtige Argumente, die die historische Hypo-
these einer kausal beschaffenen Entwicklung ‚des‘ musikalischen Formalismus
von der Kant’schen Urteilskritik zu Hanslicks VMS-Traktat eklatant schwä-
chen. 1. Kants Lehre von den ‚schönen Künsten‘ kann kaum als ein forma-
les Konzept erachtet werden,992 da das Schöne für ihn zum Teil mit morali-
schen Vorstellungen und rationalen Begriffen verbunden ist, was ‚reine‘ Musik
nicht treffe.993 2. Hanslicks Vorhaben der szientifischen Musikästhetik, die auf
988 Hanslick/Payzant, Musically Beautiful (wie Anm. 31), S. 2.
989 Hanslick/Cohen, Beautiful in Music (wie Anm. 65), S. 17. Vgl.: Cecil Gray, „The Task of
Criticism“, in The Sackbut 1 (1920), S. 9–13, hier S. 13; Baker/Scruton, „Expression“ (wie
Anm. 906), S. 326.
990 Schmidt, „Hanslicks Formbegriff“ (wie Anm. 53), S. 91f.; Landerer, Hanslick und Bolzano
(wie Anm. 27), S. 96; Klein, Musikphilosophie (wie Anm. 64), S. 27; Panaiotidi, „Alexandr
Mikhailov“ (wie Anm. 29), S. 73f.
991 Carrière, Ästhetik (wie Anm. 428), Bd. 2, S. 322.
992 Guyer, „Kant’s Fine Art“ (wie Anm. 894). Für mehrere ähnliche Ansichten vgl.: Bow-
man, „Musical ‚Formalism‘“ (wie Anm.Â
410), S.Â
44–46; Anthony Savile, Kantian Aesthetics
Pursued, Edinburgh 1993, S. 106; Salim Kemal, Kant’s Aesthetic Theory, London ²1997,
S. 150; Hamilton, Aesthetics (wie Anm. 267), S. 71; Ginsborg, „Kant“ (wie Anm. 900),
S.Â
335f.; Rothfarb, „Musical Formalism“ (wie Anm.Â
58), S.Â
173; Zangwill, Aesthetic Reality
(wie Anm. 444), S. 8.
993 Dahlhaus hat den Kant’schen Formalismus zusammengefasst, der auf dem Irrtum basiere,
„daß man […] das ästhetische Urteil umstandslos mit dem Kunsturteil gleichsetzte. […]
Das Kunsturteil, das nach Kants Ãœberzeugung ethische und praktische Bestimmungs-
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423