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4.2. Hanslick als Feindbild: Bell, Schenker und die ‚New Musicology‘
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Etablierung mit der Konferenz der American Musicological Society in Oakland
im Jahr 1990 statt, bei der Fragen von Musik und Gender, Politik, Sexualität,
Narrativität etc. eingehend behandelt wurden.1046
In „How We Got Into Analysis, and How to Get Out“ sowie seiner darauf
publizierten Abhandlung Contemplating Music – auf dem britischen Buchmarkt
als Musicology erschienen – hat Kerman die für ihn überalterte Konzeption der
amerikanischen Musikwissenschaft ausgiebig kritisiert, welche einzig „the fac-
tual, the documentary, the verifiable, the analysable, the positivistic“ untersu-
che: „Musicologists are respected for the facts they know about music. They
are not admired for their insight into music as aesthetic experience.“1047 Kerman
entfaltete besonders zwei scheinbar getrennte Probleme, die aber trotz allem
auf die ideologische Grundhaltung des Szientismus rekurrieren:1048 1. eine rein
archivalische Denkrichtung, die Texte, Daten und Fakten für die musikologi-
sche Editionstechnik ohne jede weitergehende Interpretation schlicht sammle,
und 2. die Schenker’sche Musiktheorie, die mit dem Zweiten Weltkrieg und
der Emigration von Schenker-Schülern zur vorherrschenden amerikani-
schen Analysemethode werden konnte.1049 Diese galt hier als die absolut-ob-
jektive, überzeitliche Beschreibung der tonalen Struktur sowie ihrer inneren
Prozesse,1050 was Kerman als Methode sah, die Musikstücke „technical oper-
ations, descriptions, reductions“ unterwerfe, „purporting to show how they
‚work‘“.1051 McClary stellte später eine völlig idente Diagnose: „musicologists
acknowledged only three modes of professional activity: archival research, the
1046 Lawrence Kramer, Classical Music and Postmodern Knowledge, Berkeley/Los Angeles/Lon-
don 1995, S. 13; Subotnik, Music and Reason (wie Anm. 817), S. XXVI; Bertone/Fuhr-
mann/Grant, „Was ist neu?“ (wie Anm. 1041), S. 110; Lawrence Kramer, Critical Musico-
logy and the Responsibility of Response: Selected Essays, Aldershot/Burlington 2006, S. Xf.;
Calella, „Was übrig bleibt“ (wie Anm. 815), S. 83.
1047 Joseph Kerman, Contemplating Music: Challenges to Musicology, Cambridge, Mass. 1985,
S. 12.
1048 Siehe dazu etwa auch folgende Überblicke: Leo Treitler, „The Power of Positivist Think-
ing“, in JAMS 42/2 (1989), S. 375–402; Nicholas Cook, Music: A Very Short Introduction,
Oxford/New York 1998, S. 83–95; Williams, Constructing Musicology (wie Anm. 206),
S. 2–7.
1049 Zur Anziehungskraft, die Schenkers Methodik in Amerika ausübte, sowie ihrer dauer-
haften Ausbreitung siehe vor allem: William Rothstein, „The Americanization of Hein-
rich Schenker“, in ITO 9/1 (1986), S. 5–17; Cook, Schenker Project (wie Anm. 33), S. 275–
281.
1050 Zimmermanns Propädeutikum, das Schenker verpflichtend absolvieren musste, hat bei
der ahistorischen Verfahrensweise der Schenker’schen Analysemethode offensichtlich
entscheidend nachgewirkt: Titus, „Hanslick und Vischer“ (wie Anm. 86), S. 294. Für
Schenkers Ausbildung siehe vor allem: Cook, Schenker Project (wie Anm. 33); Karnes,
Challenge of History (wie Anm. 131).
1051 Kerman, Challenges to Musicology (wie Anm. 1047), S. 65.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423