Seite - 222 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Bild der Seite - 222 -
Text der Seite - 222 -
4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
222
der „anti-organicist“ also erst zum „arch-organicist“ werden musste.1095 Das
hat Allan Keiler vehement bestritten, der Pastilles Deutung als „absurdity“
definierte, für Schenker einen konstanten Musikbegriff behauptete und für die
diskutierte ‚Entgleisung‘ eine kontextuelle Interpretation erarbeitete: „Schen-
ker’s anti-organicist position […] has to be seen as based on arguments that
are constructed within a somewhat contrived and unsystematic philosophical
framework, in order to stand in opposition to ideas of Hanslick and others.“1096
Korsyn und Cook hielten jedoch fest,1097 dass man den ‚Geist‘-Essay Schenkers
nur mit großen Mühen als „vigorous attack on the formalism of Eduard Hans-
lick“ fassen könne,1098 da sich hier eher parallele Konzepte finden ließen, wel-
che Keiler schlichtweg missdeutete. Wenn man nun aber nicht Keilers Lesart
von Schenker, sondern diejenige von Hanslicks VMS-Traktat exakter studiert,
wird klar, dass Keilers Artikel eine typische Strategie im Umgang mit Hans-
lick auf den Punkt bringt. Denn Hanslicks Formbegriff wird hier als abstrakter
Terminus begriffen, der dem Gehalt von Musik begrifflich opponiere: „Form is
an abstraction, externalized from the idiosyncratic or unique quality of indivi-
dual pieces, that serves to summarize broad stylistic features.“1099
Da Hanslicks Ansichten zur Identität von Inhalt und Form mit derartigen
Konzepten jedoch nichts gemein haben, können Schenkers Bedenken zur histo-
rischen Vorherrschaft eines solch technischen Formbegriffs nicht einmal indirekt
als negative Wertung Hanslicks gefasst werden, der von Keiler inkorrekt refe-
riert wird. Schenkers Betonung des ‚individual content‘ – der das thematische
Musikmaterial bezeichnet – ist mit Hanslicks Argument durchaus vereinbar,
das Keilers Deutung zum Trotz keine theoretische Überhöhung der ‚generali-
zing form‘ nötig macht, die für Hanslick keineswegs wesentlich war.1100 Erst am
Ende von Hanslicks VMS-Traktat trennt dieser den „ursprünglich logischen“
vom „specifisch musikalischen“ Formbegriff – der „Architektonik der verbun-
denen Einzelheiten und Gruppen, aus welchen das Tonstück besteht, näher also:
die Symmetrie dieser Theile in ihrer Reihenfolge, Contrastirung, Wiederkehr
und Durchführung“ –, der mit dem ‚Inhalt‘, den musikalischen Hauptthemen
sowie deren kunstvoller Verarbeitung, kontrastiert (VMS, S.Â
167). Hanslick hatte
1095 William Pastille, „Heinrich Schenker, Anti-Organicist“, in 19thCM 8/1 (1984), S. 29–36,
hier S. 32.
1096 Allan Keiler, „The Origins of Schenker’s Thought: How Man is Musical“, in JMT 33/2
(1989), S. 273–298, hier S. 291 und 289.
1097 Kevin Korsyn, „Schenker’s Organicism Reexamined“, in Intégral 7 (1993), S. 82–118, hier
S. 109; Cook, Schenker Project (wie Anm. 33), S. 48.
1098 Keiler, „Schenker’s Thought“ (wie Anm. 1096), S. 291.
1099 Ebda., S. 286.
1100 Ebda., S. 286.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423