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5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption
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kritisiert. Denn weil man die begriffliche Bestimmtheit von âreinerâ Musik
allgemein bezweifelt, hat man sich auf die parallele Annahme berufen, dass
Musik âunbestimmteâ Emotionen darzustellen hat, was Hanslick entschieden
zurĂŒckweist, denn ââUnbestimmtesâ âdarstellenâ ist ein Widerspruchâ. Wenn
damit jedoch einzig gesagt werden soll, dass âreineâ Musik die âBewegung des
FĂŒhlensâ strukturell imitieren kann, wird dies von ihm vollstĂ€ndig anerkannt
(VMS, S. 62).1441 An dieser Stelle findet sich eine zusÀtzliche Verkennung der
tatsÀchlichen Implikationen von Hanslicks Argument, die aus der bekannten
Hypothese Hanslicks hervorging, dass auch âreineâ Musik die Dynamik von
GefĂŒhlen direkt abbilden könne (VMS, S.Â
46f.). Bayer und Klengel haben diesen
scheinbaren Kompromiss aufgegriffen, um zu behaupten, dass also auch allge-
meine Emotionen musikalisch darstellbar seien:1442 Wenn Musik die emotiona-
len Dynamismen unmittelbar wiedergeben kann, âvermag sie eben auch allge-
meine Typen der GefĂŒhle oder, wenn man lieber will, unbestimmte GefĂŒhle
darzustellenâ.1443 Diese These ist schlichtweg irrefĂŒhrend und folgt nicht aus
Hanslicks Aussagen: Zwar kann âreineâ Musik die motorischen Kennzeichen
des âunbestimmtenâ Affektzustands (abklingend, ansteigend, stĂŒrmisch) âabbil-
denâ, jedoch allein damit keine unzweideutige GefĂŒhlsregung reprĂ€sentieren,
die vom kognitiven Gegenstand legitimiert wird:1444 âBewegung ist aber nur
eine Eigenschaft, ein Moment des GefĂŒhls, nicht dieses selbst. [âŠ] Nicht Liebe,
sondern nur eine Bewegung kann sie schildern, welche bei der Liebe, oder auch
bei einem andern Affekt vorkommen kann, immer jedoch das Unwesentliche
seines Charakters istâ (VMS, S. 47).
Dass auch noch spĂ€tere Autoren meinen, dass âreineâ Musik eine spezielle
Emotion âfrei oder frei geworden von einem realen Anlasseâ1445 und âunge-
genstĂ€ndliche Empfindungenâ1446 verstĂ€ndlich ausdrĂŒcken kann,1447 erstaunt
deshalb weniger als die betreffende Beurteilung durch Albert Wellek. Der
Musikpsychologe hat den âpositivistisch angehauchte[n] Intellektualismusâ
in Hanslicks VMS-Traktat deutlich kritisiert und zum kognitiven Argument
Hanslicks lediglich bemerkt, dass es âso zeitgebunden und ĂŒberlebtâ sei, âdaĂ
es nicht verlohnt, auf alle enthaltenen IrrtĂŒmer heute noch einzugehenâ.1448
1441 Landerer, Hanslick und Bolzano (wie Anm. 27), S. 56; Wilfing, âGefĂŒhl und Musikâ (wie
Anm. 141), S. 35â38; Sousa, âSchopenhauerianâ (wie Anm. 831), S. 225f.
1442 Josef Bayer, Aesthetik in Umrissen. Zur allgemeineren philosophischen Orientierung auf dem
Gebiete der Kunst, Prag 1856â1863, Bd. 1, S. 319.
1443 Paul Klengel, Zur Aesthetik der Tonkunst, Leipzig 1876, S. 24.
1444 Davies, Musical Meaning (wie Anm. 450), S. 217f.
1445 Bukofzer, GemĂŒtsbewegung (wie Anm. 387), S. 245.
1446 Kutschera, Ăsthetik (wie Anm. 724), S. 529.
1447 HĂŒbner, Schöpfung (wie Anm. 441), S. 35.
1448 Wellek, Musikpsychologie (wie Anm. 342), S. 237 und 205.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, MusikĂ€sthetik, Musik und GefĂŒhl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die âidealistischeâ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die âösterreichischeâ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang â Hanslicks âtönend bewegte Form[en]â 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik â Ăsthetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ăbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone MusikÀsthetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang â Hanslickâsche Rezensionen in Dwightâs Journal of Music 176
- 4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- AbkĂŒrzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423