Seite - 312 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
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5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption
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VMS-Traktat den modernen âenhanced formalismâ obsolet machen wĂŒrde, der
wesentlich nuancierter und theoretisch ausgereifter als Hanslicks Hypothese
ist. Es scheint jedoch trotz allem seltsam, dass jene Gedanken Hanslicks, die fĂŒr
die Theorie von Davies und Kivy nĂŒtzlich gewesen wĂ€ren, von beiden Autoren
rundweg ignoriert wurden, was wohl nicht auf dem BemĂŒhen um allergröĂ-
te OriginalitĂ€t, sondern vielmehr auf der verkĂŒrzten Auffassung von Hans-
licks Argument im englischen Sprachraum fuĂte. Kivys Fazit lautet dann auch,
dass Hanslick eine Erzeugung oder Darstellung von Emotionen als Zweck von
Musik gĂ€nzlich ablehnte â was vollauf zutrifft â, schlieĂt dann aber: âHis argu-
ment for this thesis was simple and direct. Music, as an art, cannot either arouse
or represent the garden-variety emotions.â Da âgarden-
variety emotionsâ sich
ĂŒber kognitive Elemente definieren, die musikalisch nicht reprĂ€sentiert werden
können, ist die Darstellung von Emotionen auch nicht der âprimary purpose
of musicâ.1599 Aus der Art, wie Hanslicks Argument beschaffen ist, so Kivy,
darf man jedoch nicht folgern, dass âreineâ Musik den Ausdruck von GefĂŒhlen
als âminor purposeâ beinhalte, was mit der kognitiven Konzeption unmöglich
werde.1600 Wenn Kivy treffend bemerkt, dass Hanslicks kognitives Argument
ausschlieĂt, dass GefĂŒhle musikalisch reprĂ€sentiert werden können oder ihre Wir-
kung eine interpersonelle Verbindlichkeit habe, scheint dessen spezifische Herlei-
tung dennoch inkorrekt. Nicht jenes kognitive Argument fĂŒhrt dahin, dass
Zweck und Inhalt von Musik die Darstellung von Emotionen hinter sich las-
sen, sondern vielmehr die prinzipielle Auffassung, dass jedes Schöne als Àsthe-
tischer Selbstzweck interpretiert werden mĂŒsste (VMS, S. 26).
Wie eingehend ausgefĂŒhrt (Kap. 2.2), ist die âEvidenz des GefĂŒhlsâ als âder
letzte Werth des Schönenâ fĂŒr Hanslicks Musikbild ebenso zentral wie fĂŒr
Autoren, die GefĂŒhle als Zentrum der Ăsthetik ansehen (VMS, S. 10). GefĂŒhle
werden jedoch aufgrund fehlender interpersoneller Verbindlichkeit von der
objektiven MusikÀsthetik geschieden, was dennoch nicht bedeutet, dass sie von
der musikalischen Komposition generell separiert werden mĂŒssen. Wenn Kivy
deswegen behauptet, Hanslicks VMS-Traktat âmust be seen as entirely ruling
out the relevance of emotive descriptions to our characterization of absolute
music as an artâ, ist hier zwar fraglos richtig, dass das fĂŒr den Ă€sthetischen
Fachbereich gilt, aber eben nicht besagt, GefĂŒhle mĂŒssten in âany art-rele-
vant wayâ von âreinerâ Musik isoliert werden.1601 Davies verfolgt eine Ă€hnli-
che Strategie, insofern die Kontur-Theorie von ihm als âlesson to be learned
1599 Kivy, Introduction to Philosophy (wie Anm. 356), S. 22.
1600 Ebda., S. 22f. Vgl.: ders., âWhat Was Hanslick Denying?â, in JM 8/1 (1990), S. 3â18, hier
S. 17.
1601 Kivy, Ancient Quarrel (wie Anm. 5), S. 55f. Vgl.: ders., New Essays (wie Anm. 399), S. 95.
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die âidealistischeâ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die âösterreichischeâ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang â Hanslicks âtönend bewegte Form[en]â 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik â Ăsthetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ăbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone MusikÀsthetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang â Hanslickâsche Rezensionen in Dwightâs Journal of Music 176
- 4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- AbkĂŒrzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423