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5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption
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VMS-Traktat den modernen ‚enhanced formalism‘ obsolet machen würde, der
wesentlich nuancierter und theoretisch ausgereifter als Hanslicks Hypothese
ist. Es scheint jedoch trotz allem seltsam, dass jene Gedanken Hanslicks, die für
die Theorie von Davies und Kivy nützlich gewesen wären, von beiden Autoren
rundweg ignoriert wurden, was wohl nicht auf dem Bemühen um allergröß-
te Originalität, sondern vielmehr auf der verkürzten Auffassung von Hans-
licks Argument im englischen Sprachraum fußte. Kivys Fazit lautet dann auch,
dass Hanslick eine Erzeugung oder Darstellung von Emotionen als Zweck von
Musik gänzlich ablehnte – was vollauf zutrifft –, schließt dann aber: „His argu-
ment for this thesis was simple and direct. Music, as an art, cannot either arouse
or represent the garden-variety emotions.“ Da ‚garden-
variety emotions‘ sich
über kognitive Elemente definieren, die musikalisch nicht repräsentiert werden
können, ist die Darstellung von Emotionen auch nicht der „primary purpose
of music“.1599 Aus der Art, wie Hanslicks Argument beschaffen ist, so Kivy,
darf man jedoch nicht folgern, dass ‚reine‘ Musik den Ausdruck von Gefühlen
als „minor purpose“ beinhalte, was mit der kognitiven Konzeption unmöglich
werde.1600 Wenn Kivy treffend bemerkt, dass Hanslicks kognitives Argument
ausschließt, dass Gefühle musikalisch repräsentiert werden können oder ihre Wir-
kung eine interpersonelle Verbindlichkeit habe, scheint dessen spezifische Herlei-
tung dennoch inkorrekt. Nicht jenes kognitive Argument führt dahin, dass
Zweck und Inhalt von Musik die Darstellung von Emotionen hinter sich las-
sen, sondern vielmehr die prinzipielle Auffassung, dass jedes Schöne als ästhe-
tischer Selbstzweck interpretiert werden müsste (VMS, S. 26).
Wie eingehend ausgeführt (Kap. 2.2), ist die „Evidenz des Gefühls“ als „der
letzte Werth des Schönen“ für Hanslicks Musikbild ebenso zentral wie für
Autoren, die Gefühle als Zentrum der Ästhetik ansehen (VMS, S. 10). Gefühle
werden jedoch aufgrund fehlender interpersoneller Verbindlichkeit von der
objektiven Musikästhetik geschieden, was dennoch nicht bedeutet, dass sie von
der musikalischen Komposition generell separiert werden müssen. Wenn Kivy
deswegen behauptet, Hanslicks VMS-Traktat „must be seen as entirely ruling
out the relevance of emotive descriptions to our characterization of absolute
music as an art“, ist hier zwar fraglos richtig, dass das für den ästhetischen
Fachbereich gilt, aber eben nicht besagt, Gefühle müssten in „any art-rele-
vant way“ von ‚reiner‘ Musik isoliert werden.1601 Davies verfolgt eine ähnli-
che Strategie, insofern die Kontur-Theorie von ihm als „lesson to be learned
1599 Kivy, Introduction to Philosophy (wie Anm. 356), S. 22.
1600 Ebda., S. 22f. Vgl.: ders., „What Was Hanslick Denying?“, in JM 8/1 (1990), S. 3–18, hier
S. 17.
1601 Kivy, Ancient Quarrel (wie Anm. 5), S. 55f. Vgl.: ders., New Essays (wie Anm. 399), S. 95.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423