Page - 300 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Image of the Page - 300 -
Text of the Page - 300 -
5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption
300
5.3. Enhanced Formalism – Hanslick, Davies, Kivy und die
Kontur-Theorie
In Kap. 5.2 konnte gezeigt werden, dass Hanslicks Argument für die ‚engli-
sche‘ Hanslick-Rezeption schlechthin elementar war und wie analytische Phi-
losophen das kognitivistische Emotionsmodell produktiv entwickelt oder um-
sichtig umschifft hatten. Es wäre jedoch verfehlt, Hanslicks Bedeutung nur
auf diesen Aspekt seiner Hypothese einzuengen, zumal dessen Ästhetik von
diversen Autoren konstruktiv aufgegriffen und systematisch ausgearbeitet
wurde. Dabei ist vor allem Hanslicks Konzept der dynamischen Kongruen-
zen von Gefühl und Musik wesentlich geworden, die nicht nur beifällig rezi-
piert, sondern vielmehr nachhaltig aktualisiert wurde, was weiter unten am
Beispiel von Davies und Kivy detaillierter dargestellt wird. Obwohl Hanslick
den Konnex von Gefühl und Musik nach oben erörterten Varianten abgelehnt
hat, ist für ihn doch eine zumindest mittelbare Beziehung vorstellbar: „Einen
Kreis von Ideen hingegen kann die Musik mit ihren eigensten Mitteln reich-
lichst darstellen. Dies sind unmittelbar alle diejenigen, welche auf hörbare Ver-
änderungen der Zeit, der Kraft, der Proportionen sich beziehen, also die Idee
des Anschwellenden, des Absterbenden, des Eilens, Zögerns, des künstlerisch
Verschlungenen, des einfach Begleitenden“ (VMS, S. 45). Anders als bei be-
stimmten emotionalen Projektionen (heiter, traurig, zornig etc.), die Hanslick
als figurative Metaphorik erscheinen, kann auch ‚reine‘ Musik mit affektiven
Adjektiven belegt werden, die auf eben jene dynamischen Musikqualitäten zu-
rückgehen: „Es kann ferner der ästhetische Ausdruck einer Musik anmuthig
genannt werden, sanft, heftig, kraftvoll, zierlich, frisch: lauter Ideen, welche
in Tonverbindungen eine entsprechende sinnliche Erscheinung finden können“
(VMS, S.
45). Die daher allein rhetorische Fragestellung, welches spezielle Seg-
ment des menschlichen Gefühlslebens musikalisch ausgedrückt werden könnte,
wird dann folgendermaßen zusammengefasst: „Nur das Dynamische derselben.
Sie vermag die Bewegung eines psychischen Vorganges nach den Momenten:
schnell, langsam, stark, schwach, steigernd [recte: steigend], fallend nachzubil-
den“ (VMS, S.
46).1539 Für Hanslick ist der „Begriff der Bewegung“ – der für ihn
„der wichtigste und fruchtbarste“ Ansatzpunkt für den Bezug von Gefühl und
1539 Diese Stelle wird mit der achten Auflage markant geändert (‚physisch‘ statt ‚psychisch‘).
Ob, so Strauß, ein „später nicht mehr erkannter“ Druckfehler oder eine gezielte Varia-
tion Hanslicks vorliegt, bleibt offen: Strauß, VMS Teil 2 (wie Anm. 22), S. 99. Der Kon-
text (Gefühl) macht einen Lapsus durchaus plausibel: Franz Michael Maier, „Lotze und
Zimmer mann als Rezensenten von Hanslicks ‚Vom Musikalisch-Schönen‘“, in AfMw
70/3 (2013), S. 209–226, hier S. 218. Da Payzants Fassung auf der achten Auflage beruht,
liegt hier also kein ‚Fehler‘ von ihm vor, wie Appelqvist, „Kantian Ethos“ (wie Anm.
381),
S. 87, fälschlich bemängelt.
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Übersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Übersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Übersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423