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VORWORT UND INHALTE
Die Hanslick-Rezeption ist ein Klischee: Nach verbreiteter Auffassung war
Hanslick ein reaktionärer ‚Kritikerpapst‘, der allen neuen musikalischen Ent-
wicklungen von der symphonischen Programmmusik von Hector Berlioz,
Franz Liszt und Richard Strauss bis hin zur Wagner’schen Dramenreform ab-
lehnend begegnete und stattdessen altmodische Musikkonzepte blindlings ide-
alisierte, die für ihn von der ‚Wiener Klassik‘ sowie später von Brahms vor-
züglich verkörpert wurden. Musikalische Schönheit, die man nur bei ‚reiner‘
Musik finden könne,1 da gemischte Gattungen künstlerisch minderwertig
wären, sei für ihn lediglich vorhanden, wenn diese Musik durch regelmäßige,
symmetrische, mathematisch untermauerte Strukturverläufe charakterisiert
ist, die mit der vollkommenen Sonatensatzform zusammenfallen. Diese rigo-
rosen normativen Präferenzen seien speziell mithilfe der polemischen ästheti-
schen Streitschrift Vom Musikalisch-Schönen theoretisch kodifiziert worden,2 in
der die „reine absolute Tonkunst“ (VMS, S. 52) als „tönend bewegte Formen“
(VMS, S. 75) gefasst worden ist. Diese ‚Form‘, die mit der musikalischen For-
menlehre korrespondiere, müsse zudem niemals erklingen, da „das componirte
Tonstück, ohne Rücksicht auf dessen Aufführung, das fertige Kunstwerk ist“
(VMS, S. 109), was deutlich bezeuge, dass Hanslicks Musikbild ein durchweg
abstraktes Strukturideal sei, das künstlerische Spontaneität und musikalische
Erneuerung rigoros ablehne. Da Hanslicks VMS-Traktat also eine rein intellek-
tuelle Durchdringung der musikalischen Komposition als einzig legitime Hör-
weise vorschreibe, musste Hanslick ebenso den Konnex von Gefühl und Musik
unter allen erdenklichen Perspektiven durchweg abstreiten: Diese könne somit
weder emotionale Erlebnisse darstellen noch expressiv bekunden oder auch re-
zeptiv erwecken. Musik, so Hanslicks Ontologie, hat mit dem menschlichen
1 Dieser Begriff wird hier lediglich deskriptiv eingesetzt und kennzeichnet instrumentale
Kompositionen ohne jede Ãœberschrift, Programm oder auch Text.
2 Eduard Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik in [sic] der
Tonkunst. Teil 1: Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. von Dietmar Strauß, Mainz u.a. 1990.
Wenn nicht anders notiert, beruhen deutsche Angaben auf Strauß’ Edition (z.B. VMS,
S. 1). Da ich primär die früheste Fassung aus dem Jahr 1854 benutze, werden spätere Auf-
lagen jeweils separat markiert (VMS ²1858, VMS ³1865, etc.).
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423