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GRAF EGBERT BELCREDI – DER „ECHTE“ KONSERVATIVE 17
durchzieht als „unendliche Geschichte“ auch Belcredis Tagebuch, nämlich
der Kampf um die (Wieder-)Ansiedlung einer Kongregation auf dem We-
lehrad, einem von Joseph II. aufgehobenen Zisterzienserkloster, das an-
geblich an der Stelle errichtet worden war, wo im 9. Jahrhundert die Chris-
tianisierung der Slawen begonnen hatte. Diese Bemühungen setzten im
Anschluss an die Millenniumsfeier für die Slawenapostel Cyrill und Method
1863 ein und gelangten erst 1890 mit der Errichtung eines Jesuitenkonvents
zu einem glücklichen Abschluss.
Letztendlich war Egbert freilich weder ein „Klerikaler“ noch ein (tsche-
chischer) „Nationaler“. Beide Strömungen waren ihm als Verbündete will-
kommen, als Gegengewicht, als „countervailing powers“ gegen die Struktu-
ren des liberal-zentralistischen Beamtenstaates. Er hatte zum Unterschied
zu vielen seiner mährischen Standesgenossen und Parteigänger keinerlei
Berührungsängste mit der tschechisch-nationalen Bewegung, aber sie war
für ihn doch in erster Linie ein Werkzeug, das gegen gemeinsame Gegner
in Stellung gebracht werden sollte. Belcredi verstand Tschechisch, war sich
der Grenzen seiner Kenntnisse jedoch bewusst, auch wenn er im Tagebuch
immer wieder tschechische Passagen einflicht. Seine Affinität zur tsche-
chischen Bewegung beruhte – über ein Gefühl des noblesse oblige und der
Solidarität mit der lokalen Bevölkerung hinaus – auf reziproken Nützlich-
keitserwägungen: Er fand für seine Vorstellungen bei den Tschechen mehr
Resonanz als bei den Deutschen.
Vielen Ideen der tschechischen Nationalbewegung stand er skeptisch
gegenüber, so z. B., wenn er dem gängigen „Diskurs“ über die Katastrophe
nach der Schlacht auf dem Weißen Berg mit der Spekulation entgegentrat,
ein Sieg des „Winterkönigs“, immerhin eines deutschen Pfalzgrafen, hätte
wohl zur kompletten Germanisierung der böhmischen Länder geführt.5 Die
Tschechen müssten schon aus geopolitischen Gründen das „beste österrei-
chische“ Volk sein, weil sie „außerhalb Österreichs zugrunde“ gehen oder das
Schicksal der Elbslawen teilen müssten.6 In sprachenrechtlichen Fragen war
er – zumindest anfangs – am tatsächlichen Bedürfnis, nicht an abstrakten
Gerechtigkeitsvorstellungen orientiert: In der Frühzeit sprach er leichthin
von einem „Grad von Bildung, der […] ohne umfangreiche Kenntnis der
deutschen Sprache nicht denkbar“ sei.7
Der politische Katholizismus war für Konservative vom Schlag Belcredis
ein viel unproblematischerer Verbündeter. Bezeichnend war, dass er viel
früher als die meisten seiner Parteifreunde seine Sympathie für die Be-
5 Tb. 31.12.1868; siehe auch 23.3.1862, 10.5.1879.
6 Tb. 24.4.1892, 12.11.1892.
7 Tb. 29.8.1850.
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115