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LOTHAR
HÖBELT20
nicht getan, weil es „für eine Feigheit angesehen werden könnte.“ Im Lichte
seiner späteren Anschauungen vielleicht noch bemerkenswerter war sein
Eintreten für ein „einiges Österreich“, das in eine Polemik ausartete, gegen
„auf dem Trödelmarkt vergilbte, durch alte Pergamente kaum zusammen-
gehaltene Kronen.“ Er plädierte für die Wahlen in die deutsche Nationalver-
sammlung in der Frankfurter Paulskirche und sprach sich gegen die Prager
Petition aus, die für das böhmische Staatsrecht eintrat.22
Die gefährlichsten Folgen der Revolution von 1848 sah er nicht in der Re-
volution selbst, sondern in dem Regime, das auf die Revolution folgte, in der
Dialektik von Anarchie und Willkür, die vielfach die Kur ärger erscheinen
ließ als die Krankheit. Weil ihm die Gefahr revolutionärer Erhebungen –
damals zumindest – nicht allzu groß erschien, hatte er auch weniger Tole-
ranz für den starken Staat, an den sich viele klammerten oder klammern zu
müssen glaubten. Noch mit großem Abstand urteilte er: Nach 1848 sei eine
Diktatur zwar notwendig gewesen, doch habe sie zu lange gedauert.23 Er war
gegen „blindwütige Demokratenverfolgungen“ und ein glaubwürdiger Kri-
tiker des Neoabsolutismus, von dem er zu Recht meinte: „Unser Kaiser ist
der erste absolute Kaiser von Österreich.“24 Er polemisierte gegen den „jetzt
herrschenden Sultanismus“,25 den er nicht bloß in der Türkei, sondern im
bonapartistischen Frankreich wie im zaristischen Russland am Werk sah,
den beiden Fixpunkten nicht bloß außenpolitischer Orientierungen im Ös-
terreich der Fünfzigerjahre. England, aber auch Preußen schnitten da ver-
gleichsweise besser ab.
Es fällt auf, dass Egbert offenbar nie ein persönliches Verhältnis zu Franz
Joseph aufbaute oder entwickelte, doch die Psychologie des Kaisers viel-
leicht gerade deshalb wohl richtiger einschätzte als viele Aristokraten, die
dem Monarchen näher standen. So schrieb er in den Siebzigerjahren: „Jedes
heftige Drängen der Opposition muss daher als ein Eingriff in seine Willens-
sphäre, als der Versuch einer unberufenen Beschränkung ihm zustehender
Macht und jeder Angriff auf einen Minister immer auch als Angriff auf den,
der ihn ernannt, gefühlt und aufgefasst werden. Bei der Erziehung, Persön-
lichkeit und Denkungsweise des Monarchen dürfte ihn das Vorgehen der
Opposition weniger über die herrschenden Missstände aufklären als verlet-
zen.“26 Die Erfahrung lehre: „Franz Josef verabschiedet jeden kurz, der den
modernen Zeit – Graf Egbert Belcredi], in: Osobnosti moravských dějin (1) [Persönlichkei-
ten der mährischen Geschichte], Brünn 2006, 331–357, hier: 334–340.
22 Malíř, Egbert Graf Belcredi, 106f. (12.9.1848).
23 Tb. 16.1.1889.
24 Tb. 11.4.1852, 3.2.1852.
25 Tb. 9.8.1854.
26 Brief an P. Josef Klíma, 15.12.1875.
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115