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GRAF EGBERT BELCREDI – DER „ECHTE“ KONSERVATIVE 23
steins, mit ihren zigtausenden von Hektar. Gerade diese Magnaten entspra-
chen freilich ebenso wenig Belcredis Ideal wie die unbegüterten Adeligen:
Denn derlei ausgedehnte Latifundien führten zum Absentismus,41 zur Aus-
bildung eines Hofadels, den er für schädlich hielt.42 In diesem Sinne bildete
Belcredis nahezu lebenslängliche Oppositionshaltung eine passende Paral-
lele zum englischen Gegensatz von Court und Country, als genuiner Vertre-
ter des Landadels, der „bene possessionati“, wie man sie in Ungarn nannte,
der Mittelschicht unter der Oberschicht.
Diese Andeutungen lassen bereits erkennen, dass Belcredi seiner Gesell-
schaftsschicht keineswegs unkritisch gegenüberstand. Zum Teil mag diese
Formulierung sogar noch als Euphemismus gelten. Sein Tagebuch strotzt
vor scharfen Urteilen über Standesgenossen, die seinen Ansprüchen nicht
zu genügen vermochten. Charakteristischerweise richten sich diese Aus-
fälle – ganz im Sinne seiner Philosophie von Parteien, die sich scharf aus-
prägen müssten, ehe man aus gegebenem Anlass an ein Kompromiss denken
könne43 – weniger gegen ausgesprochene Gegner seines Programmes als ge-
gen laue, wetterwendische oder schlicht apolitische Standesgenossen. Sein
Freund Graf Ferdinand Spiegel sprach ihm aus der Seele, wenn er schrieb,
es sei „beklagenswert, dass die wenigsten unserer Standesgenossen fühlen,
wie sie fühlen sollten.“44 Da konnte Belcredi sich schon einmal zu dem Fluch
versteigen: „Dieses Pack verdient wahrlich nicht gerettet zu werden.“45
So sehr Belcredi unter dem – seiner Meinung nach – mangelnden poli-
tischen Engagement seiner Anhänger litt, so neigte er andererseits dazu,
das Engagement und die Raffinesse seiner Gegner allzu hoch einzuschätzen;
oder, anders ausgedrückt: Er war anfällig für Verschwörungstheorien. Er zi-
tierte zu dem Thema gern Benjamin Disraeli: „Die Welt wird durch unsicht-
bare Fäden regiert, von denen niemand eine Ahnung hat.“46 Die Presselei-
tung des Ministeriums avancierte für ihn deshalb gleich zu einer geheimen
Nebenregierung;47 jede bürokratische Borniertheit folgte einem geheimen
41 Tb. 12.2.1865, 16.10.1866, 22.5.1872.
42 Tb. 23.3.1854. In diesem Sinne nahm Belcredi die Thesen von Norbert Elias vorweg, die
inzwischen allerdings auch in die Jahre gekommen sind.
43 Tb. 3.3.1862.
44 Brief Ferdinand Spiegels vom 16.1.1871. Spiegel rief in Znaim den „Botschafter“ ins Leben,
hielt die katholisch-politischen Vereine für „die einigende Arena gegen Freimaurerei und
Zersetzung“ und kandidierte – allerdings erfolglos – in den Landgemeinden, weil er über-
zeugt war, „wie vertrauensvoll die mittleren und niederen Stände uns entgegenkommen.“
45 Tb. 20.11. oder 27.12.1864.
46 Tb. 22.3.1890; ähnlich auch 21.3.1883; eine Quelle für das Zitat ist nicht angegeben; es
handelt sich vermutlich um eine Äußerung, die Disraeli einer seiner Romanfiguren in den
Mund legt.
47 Tb. 13.10.1888, unter Berufung auf Vogelsang.
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115