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INGROWITZ, 4. DEZEMBER 1852 123
ein Zuviel weit mehr als ein Zuwenig, nicht als ob ich dies von übergroßer
Geneigtheit erwartete, denn sie existiert nicht, sondern als ein perfides Ge-
schenk. Aus Perfidie könnte man uns eine hervorragende Stellung und eine
Wirkungssphäre anweisen, die uns nichts als Neid und Hass eintrüge, wäh-
rend wir anderseits jetzt nicht Einsicht und Tatkraft genug besitzen, einen
bedeutenderen Wirkungskreis gehörig auszufüllen! Wir müssen nach und
nach unsre gebührende Stellung erringen, dann wird sie uns lieb und wert
sein, und wir werden sie zu behaupten wissen! –
Lösch, 6. November 1852
Seit 70 Jahren revolutioniert und schreit Europa nach wohlfeiler, naturge-
mäßer Verwaltung, die ja nur in den Händen fest gegliederter gesellschaft-
licher Körperschaften denkbar ist, die die Interessen kennen, davon un-
mittelbar selbst betroffen werden und in und mit den eigenen Vorteilen die
allgemeinen fördern müssen.
Und doch stellt jede sogenannte Reorganisation und Reform sich ge-
rade auf den entgegengesetzten Standpunkt. Wenn das Regieren immer
schwieriger, die Regierer immer zahlreicher, schlechter und teurer wer-
den, wenn sie im Interesse, die Idee der eigenen Wichtigkeit und Unent-
behrlichkeit bei gutem Kurs zu erhalten, alles immer mehr zentralisieren,
monopolisieren und sequestrieren, und deshalb sich selbst ins Unendliche
vermehren, um der massenhaft wachsenden Arbeit nur einigermaßen zu
genügen, so gehört eben kein großer Scharfsinn dazu, um das Ende der
tollen Wirtschaft vorherzusehen. Der Gesetzgeber ist längst durch die
Legion der Gesetzausleger und Vollzieher paralysiert, jede selbständige
Macht wird von der künstlichen Staatsmaschine zu Staub zerrieben, der
Monarch als einheitliche Spitze der Gesellschaft, wie sie in einem gege-
benen Staate ihren Ausdruck findet, zum Maschinisten degradiert, der
selbst nicht mehr weiß, in welcher Form der Stoff, den er dem künstlichen
Räderwerk anvertraut, von der Maschine verarbeitet, das Tageslicht wie-
der erblicken wird.
Man hört, wie es bei dieser Taglohnarbeit nicht anders sein kann, nur
Klagen und Schimpfen. Die Demoralisation im Bürokratenheer tritt stets
krasser hervor. Niederträchtigkeit, Bestechlichkeit und Unfähigkeit sind an
der Tagesordnung.
Ingrowitz, 4. Dezember 1852
Die vergangenen Tage hier in Prag in Geschäften meiner Frau, die Erbschaft
nach meinem armen Schwiegervater betreffend,137 nötige Einleitungen getroffen.
137 Egbert Belcredi war mit Christiane (1820–1877), geb. Gräfin von Nostitz-Rokitnitz verhei-
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115