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Was müssen diese Brandmale, dem ganzen Stande durch einen räudigen
Schuft aufgedrückt, in einer solchen Zeit nicht für Folgen haben? –
Ich schrieb heute an Hugo Salm, dass es hohe Zeit sei, dieser faulen
Gärung, dieser allgem[einen] Ziellosigkeit und Untätigkeit ein Ende zu ma-
chen, den Geistern wieder eine vermehrte Tätigkeit, eine höhere und edlere
Richtung zu geben, sonst werden auch sie von der allgemeinen Fäulnis an-
gegriffen. – In Wien intrigieren die Schurken und arbeiten hinter wohlver-
schlossenen Bürotüren, die redlichen Diener des Kaisers.
Draußen aber geht das Leben seine Bahnen und wartet nicht, bis in so
und so viel Sitzungen und Beratungen ein notwendiges Gesetz fertig wird.
Eines Tages tritt ein erschütterndes Ereignis ein, alle Saiten sind bereits
zum Reißen gespannt. Und dann ist es aus mit dem Beraten, dann heißt es
handeln, rasch und energisch handeln.
Was wird alsdann geschehen?
Mit der Büroregierung ist es dann aus, man wird Notable berufen, und
diese werden raten und helfen sollen. Dann aber geht die Konfusion erst an.
Diese, nicht vorgebildet, ungeübt, einer solchen Geschäftsbehandlung un-
gewohnt, selbst ohne Vertrauen und von tausendfältigem Misstrauen um-
lagert, sollen dann die Monarchie erretten? Unter Ruinen und Trümmern
wird man dann zu spät den Mangel aller vorschauenden Staatsweisheit, die
Versäumnis von 10 Jahren der Muße zu Reformen im Innern beklagen!
Ingrowitz, 12. April 1858
Am 6. bei Christian Kotz des Abends einer Herrengesellschaft beigewohnt.
– … Prof. Gindely309 war auch anwesend. Dies scheint mir ein talent- und
geistvoller, dabei bescheidener junger Historiker zu sein.
Ingrowitz, 22. April 1858
Wolkenstein ist ein charakterfester, kenntnisvoller und unabhängiger
Mann.
Lösch, 7. Mai 1858
Lažanský setzt seine Missverwaltung des Landes mit Behaglichkeit fort,
zählt Geld, flieht alle Seife und „den Luxus des modernen Waschens“, wie
Heine vom Turnkunstmeister Maßmann singt,310 und begeht [an] seiner in-
309 Anton Gindely (1829–1892), Historiker. Sein Vater war Sieben bürger Deutscher, seine
Mutter Tschechin. Gindely war Lehrstuhlvertreter für allg. u. österr. Geschichte an der
Universität Olmütz (1853–1855). 1862 wurde er a. o., 1867 o. Professor an der Prager Uni-
versität; Direktor des Landesarchivs in Prag.
310 Frisch und frey und fromm und fröhlich, / Ist verhaßt ihm alle Seife, / Luxus des modernen
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Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115