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INGROWITZ, 25. SEPTEMBER 1876 479
hinzuzufügen und so dasselbe – figürlich gesprochen – auch seinerseits für
die Nachkommen zu erhöhn. Wollte er darauf tatenlos „ruhn“, so würden
ihm eben die andern Klassen über den Kopf wachsen, und er hörte auf, das
erste und vornehmste Glied im Gesellschaftsorganismus zu sein. Stillstehen
ist Rückwärtsgehen!
Der Nuntius Jacobini scheint endlich den richtigen Weg eingeschlagen
zu haben, um Österreich und seine kirchlichen Zustände kennen zu lernen.
Seine Vorgänger blieben in Wien sitzen, ließen sich von den H[errn] Rau-
scher und Kutschker informieren, hielten Wien für ein österreichisches Paris
und glaubten, alles Übrige sehe etwa wie Hietzing oder Rodaun aus. Hier-
nach berichteten sie nach Rom. Jacobini bereist jetzt Böhmen und besucht
alle Bischofssitze und bedeutende Abteien. Früher verweilte er länger in Ra-
igern, besuchte Brünn sowie Lichnowsky1181 und Königsbrunn zu Tršic1182 in
der Olmützer Erzdiözese.
Ingrowitz, 25. September 1876
Die Art, wie die Revolution im Jahre 1848 die Besitzverhältnisse auf den
Kopf stellte, alle daraus fließenden Rechte umstürzte und den Bauernstand
in ihrer Weise „frei“ machte, zeigt deutlich und ihre Folgen noch deutlicher,
dass Gottes Segen nur auf der ehrlichen Arbeit und ihrem redlichen Gewinn
ruht, und sich bei Gegenteil in Fluch verwandelt.
Die althergebrachte Leistung von Robot und Zehent war nichts andres als
die in natura durch Arbeit und Abgabe 1/10 des Bodenprodukts geleistete
Zinsenzahlung für jenen überwiegenden Teil des Kaufschillings, der beim
Einkauf des Bauerngrundes nicht bar erlegt worden war.
Dieser reformbedürftige Zustand der Agrarverhältnisse konnte, selbstver-
ständlich der Moral und dem Rechte entsprechend, nur mit Willen und im
Einverständnis der Beteiligten abgeändert werden.
Es war die dahin abzielende Bewegung bereits im Gange, landw[irtschaft-
liche] Kreditinstitute sollten sie fördern, indem sie die Mittel, das nötige
Kapital unter entsprechenden Bedingungen schaffen sollten. Und die Re-
gierung sollte auch hier, ihrer eigentlichen Aufgabe entsprechend, durch
Gesetze, Befreiung von Stempeln und Taxen, Beseitigung störender Forma-
litäten nachhelfen ohne direkte Einmischung. Wäre dies geschehen, so wäre
1181 Vermutlich Othenio von Lichnowsky-Werdenberg (1826–1887), Großprior des Malteseror-
dens, Bruder des 1848 in Frankfurt ermordeten Fürsten Felix Lichnowsky (1814–1848),
des Majoratsherrn auf Grätz und Mitglied des preußischen Herrenhauses, Fürsten Karl
(1819–1901), und des Olmützer Domherrn Prinz Robert (1822–1879), Präsident der Waf-
fenfabriksaktiengesellschaft (Steyr), dessen Familie in Österreichisch-Schlesien die Herr-
schaft Grätz, in Preußisch-Schlesien u. a. Kuchelna besaß. NFP, 25.9.1879 A, 2.
1182 Trschitz, auch Tirschitz, ein beliebter Aufenthaltsort Königsbrunns.
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115