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Erlass des Hirtenbriefes der Unterstützung der Geistlichen nicht gewiss,
nicht selbständig kandidieren konnte; und 2. nicht, weil ich mich nicht vom
ústřední komitét1374, richtiger der Advokaten-Partei, kandidieren lassen
wollte, um nicht in Abhängigkeit von ihr zu geraten.
Nun aber eröffnet sich ganz unerwartet eine andre Chance. Die Faiseurs
des sog. Kompromisses bringen die 9 Kandidaten nicht auf. In der Not grei-
fen sie zu den wenigst geeigneten Leuten, und wir können uns doch unmög-
lich die nächstbeste Liste oktroyieren lassen.
Zudem sind sie von uns abhängig, denn wenn wir nicht mitstimmen, so
siegen die Liberalen.
Nach 3-tägigem Schwanken, denn mich kostet es ein sehr großes Opfer,
eine Wahl anzunehmen, und mit Rücksicht auf den schweren Ernst der Lage
glaubte ich nach inbrünstigem Gebet, mich dafür entscheiden zu sollen.
Der verehrte Abt Günther [Kalivoda] von Raigern, der mich gestern Nach-
mittag besuchte, bestärkte mich noch in dem Entschluss, und so schrieb ich
denn gestern an Königsbrunn, er möchte Kardinal Fürstenberg meine Kan-
didatur melden und diesen ersuchen, mich, falls er einverstanden ist, dem
G[ra]fen Trauttmansdorff, welcher sich auf den „Führer“ hinausspielt, pro-
ponieren.1375
Diese Leute werden keinen kleinen Schreck haben. Doch „der Birn wird
müssen“!
Nehmen sie meine Kandidatur nicht an, und entscheidet sich die Wähler-
versammlung am 6. gegen mich, so habe ich meine Pflicht getan und kann
mit Beruhigung zuhause bleiben.
Muss ich aber – was mir das Wahrscheinlichere dünkt – nach Wien, dann
muss ich die Ruhe meiner letzten Jahre, viel Geld und mein Lieblingspro-
jekt, Ernst Tarouca1376 in seinem ersten Universitätsjahr bei mir zu behal-
ten, opfern. Eine neue große Sorge? Indes – wie Gott will.
Samstagabend am 28. Juni besuchte ich den H[errn] Pfarrer von Turas.
Dieser erzählte mir, der deutsche Gemeindevorsteher der deutschen Ge-
1374 Zentralkomitee.
1375 Der Kardinal ließ über Königsbrunn am 5. Juli seine Bereitschaft zu einer Intervention
erkennen, befürchtete jedoch, dass Belcredi „nicht reussieren werde“ und hielt es daher
„rätlicher, vorläufig auf diese Kandidatur zu verzichten.“
1376 Ernst Emanuel Graf von Silva-Tarouca (1860–1936), Neffe von Friedrich und Sohn von
August, nach dessen Tod Belcredi die Vormundschaft übernahm. Ihm gehörten Türmitz,
Groß-Černosek und Pruhonitz in Böh men. Jusstudium in Wien, als Mitglied des böhmi-
schen konservativen Klubs – MbLT (1891–1913) und MöAH (1891–1907), MöHH ab 1907;
letzter k. k. Ackerbauminister (1917/18). In Pruhonitz legte er den Grundstein für den spä-
ter be
rühmt gewordenen Park. Rudolf Meyer schrieb Belcredi am 4.11.1879 aus London, „er
setze auf Graf T. große Hoffnungen und möchte ihn in die Studien persönlich einführen.“
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Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115