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LÖSCH, KARFREITAG 11. APRIL 1884 705
leisten. Die Möglichkeit hierzu geht durch die langen Aufenthalte in Wien
verloren, damit Einfluss und Ansehen im Lande, wo ich allgemach ein Frem-
der werde.
Österreich und die Dynastie können im Falle einer Krise doch nur von
außen, d. h. von den Ländern, erhalten werden. Daraus ergibt sich die Wich-
tigkeit, in diesen die Macht und das entscheidende Wort zu haben.
Vor kurzem hatten Heinr[ich] Clam und sein durch ihn beherrschter
Schwager Leo Thun einen heftigen Auftritt mit Bar[on] Vogelsang wegen
des Aufsatzes im Vaterland über die bekannte Bauernpetition.1674 Am ent-
schiedensten beanstandeten sie, dass u. a. der Stelle, in welcher die Bauern
verlangen, die Gutsbesitzer möchten selbst für ihre Arbeiter sorgen, sie nicht
im Alter und bei Arbeitsunfähigkeit den Gemeinden auflasten, dieselben mit
Haus und Grund bestiften und kolonisieren, nicht scharf entgegengetreten
wurde. Welch charakteristische Kurzsichtigkeit. Gerade darin liegt ein rich-
tiger Gedanke, wenn die Bauern auch übersehen, dass wir in unsrer jetzigen
unnatürlichen Stellung in der Gemeinde, die ja ursprünglich auch nichts
andres als eine Arbeiterkolonie war, das Meiste zu den Gemeindeauslagen,
also auch zu den Kosten der Erhaltung der Alten und Arbeitsunfähigen, bei-
tragen.
Unsre soziale Stellung erheischt aber Unabhängigkeit und Selbständig-
keit auch in materieller und wirtschaftlicher Beziehung. Das selbständige
Gutsgebiet mit seinen Dienstleuten und Arbeitern neben der selbständigen
Gemeinde, d. i. die Lösung des bestehenden unnatürlichen Verhältnisses.
Daran haben beide Teile ein, wenn auch nicht gleiches, Interesse.
Dies fühlen die Bauern – hier die Petenten – instinktiv.
Mindestens ebenso sollten auch wir es fühlen. Im jetzigen Verband wird
der Gr[oß]grundbesitz ausgesogen und endlich zerstückt, oder der Bauer von
ihm ausgekauft. Tertium non datur.
Lösch, Karfreitag 11. April 1884
Neulich erzählte mir Dr. Pospíšil, der Polizeikommissär Kraus habe ihm ge-
sagt, in einer vor kurzem abgehaltenen Anarchistenversammlung als Regie-
rungskommissär gewesen zu sein. Er habe da Reden anhören müssen, dass
ihm die Haare zu Berge standen, sich aber nicht einzuschreiten getraut,
„weil er sich seines Lebens nicht sicher fühlte“.
1674 Vogelsang beschwerte sich am 25.3.1884, er werde „behandelt wie ein schlechter Bedien-
ter“; er wolle das Vaterland deshalb verlassen und ein Blatt gründen, „ohne an die In-
teressen der Zuckerindustrie einseitig gebunden zu sein“ – die damals gerade in einer
schweren Krise begriffen war! Zum erwähnten Artikel: Nochmals die Bauernpetition, in:
Das Vaterland, 27.3.1884, 1.
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115