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Lösch, 10. April 1885
Alois Serényi brachte mir neulich „Meine Erlebnisse“ vom Hofrat Wirkner
der eh[e]m[aligen] ungarischen Hofkanzlei. Pressburg, und Leipzig, Verlag
von Karl Stampfel 1880.1738
Sehr interessant und im Allgemeinen wie insbesondere über die Zustände
in Ungarn bis 1848 höchst belehrend.
Auch diese Revolution war die Folge – gegen den Willen des Monarchen
– von der Bürokratie verhinderter Reformen. Immer die Unterdrückung des
Rechts und notgedrungener Forderungen zur Erhaltung der Allmacht, bis
das Maß voll ist, und die Explosion erfolgt. Dann aber auch sogleich feiges
Nachgeben in allem und allgemeines Davonlaufen.
In dem Teile des Reiches, den man jetzt Österreich Cisleithanien, West-
hälfte des Reichs und im Reichsrat vertretene Königreiche und Länder
nennt, bekümmerte man sich seit der unseligen Revolution des deutschen
Adels in Böhmen 1619 um kein Landesrecht und regierte absolutistisch. In
Ungarn strebte man unablässig dasselbe an, war gegen König und Nation
mit allen Mitteln bei jedem Anlass bereit, dieses Ziel zu erreichen, bis end-
lich 1848 die Revolution ausbrach, um nach Besiegung derselben sogleich
wieder das alte Spiel zur Unterwerfung aller Völker unter das Joch der
Schreiberzunft aufzunehmen.
Dadurch ward der Dualismus im Reiche erhalten und war längst vorhan-
den, bis ihm endlich 1867 der Schwindler Beust die Form und staatsrechtli-
che Geltung verschaffte.
Die Nichtreform endet immer und überall mit der Revolution. So war es,
so ist es jetzt, und wird es immer sein.
Ich schreibe jetzt nach allen Windrichtungen um Subventionen für das
Vaterland. Leo Thun ist darin viel zu zurückhaltend und rücksichtsvoll.
Ich habe für die vielen, welche über ein verringertes Einkommen klagen,
jede Arbeit in Verwaltung ihres Besitzes scheuen, aber Bordeaux trinken
und teure Zigarren rauchen usw. usw., gar keine Rücksicht noch Mitleid,
sondern nur die vollste Verachtung.
Über das angeblich so „bedrängte“ Wien, den Wasserkopf, der die besten
Kräfte den Ländern entzieht und dem das durch die liberal-kapitalistische
Wirtschaft proletarisierte Volk in immer größeren Massen zuströmt, notierte
ich einmal in einer Ausschusssitzung: „Den österr[eichischen] Zentralisten
ist die Zentralisation nur das Mittel zur Hegemonie der Deutschen. Han-
delte es sich um politische Zentralisation, so müssten sie die Hauptstadt
und den Mittelpunkt eines polyglotten Reichs zu einem national polyglotten
1738 Ludwig von Wirkner, Meine Erlebnisse. Blätter aus dem Tagebuch meines öffentlichen
Wirkens vom Jahre 1825–1852, Pressburg–Leipzig 1879 (2. Aufl. 1880).
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
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- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115