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ist eine Folge eigener Prinzipienlosigkeit und Gaukelei, aber auch Schuld
übergroßer Zurückhaltung der Katholiken und Konservativen – und wenn
morgen die Gegner wieder zur Macht kommen, können sie dort anfangen,
wo sie aufgehört. Taaffe mit seinen Trabanten hielt ihnen nur die Plätze
warm.
Lösch, 5. Juni 1887
Für die religiösen Bedürfnisse von 250 000 katholischen Tschechoslawen
in Wien und auch s[einen] Vororten ist sehr ungenügend gesorgt. Nur bei
den Redemptoristen, Lazaristen und in der St. Annakirche ist böhmische
Predigt und Beichte. Die kirchliche Behörde tut nichts, wohl aus Angst vor
dem Geschrei, sie tschechisiere Wien. Prof. Blaha, Erzieher bei Ernst Win-
disch-Graetz, predigte und hörte Beichte aus freiem Antrieb im Laufe des
letzten Winters bei überfüllter Kirche und ohne den Scharen, die den Beicht-
stuhl umlagerten, genügen zu können.
Die Protestanten benutzen dies und predigen böhmisch im Bethaus der
Dorotheerstraße den vielen Katholiken, welchen dies in ihren Kirchen ver-
sagt ist!
Ich lenkte also meine Schritte zur bischöflichen Residenz, wo bei mei-
nem Anblick der gute Bischof in eine auffallende Aufregung geriet und
immerfort wiederholte: „Ich weiß, warum Du kommst und was Du willst,
aber es kann nicht sein, es kann absolut nicht mehr sein!“ Auf meine ver-
wunderte Frage, was denn nicht mehr sein könne, erfuhr ich endlich, der
würdige Panschab, der aber in jedem Böhmen einen Hussiten sieht, habe
ihm eingeredet, die Gymnasialschüler des Knaben-Seminars müssten ohne
Unterschied das deutsche und durchaus nicht das damals neu gegründete
böhmische Gymnasium besuchen und der bezügl[iche] Erlass sei schon in
der Expedition. Nun aber war es an mir zu sagen, das kann nicht sein, dem
edlen Bischof zu beweisen, es sei dies eine Härte und Ungerechtigkeit und
die Schuld der Maßregel würde auf ihn allein fallen, dass er solchem Rat
gefolgt habe usw.
Er hörte mir aufmerksam zu und sagte, als ich geendet: „Du hast mich
überzeugt, es soll Gerechtigkeit walten.“ Und so geschah es.
Nun sollen also doch endlich zwei Patres S. J. auf dem Hostein für die
Wallfahrt installiert sein. Hätten sie doch wieder ein Kollegium in Mähren.
Velehrad steht leer.
Lösch, 6. Juni 1887
Sie [seine Schwägerin Anna] brachte die Trauerurkunde, dass Heinrich
Clam gestern am Dreifaltigkeitssonntag auf der Heimreise nach Smečna zu
Prag im „Schwarzen Roß“ einem Blutsturz erlegen sei.
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Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115