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INGROWITZ, 28. AUGUST 1887 819
Verlockung nicht fehlen. Umso gefährlicher bei seiner Jugend, Begabung
und Tätigkeitsdrang. Werde ihn vor der Versuchung warnen.
Ingrowitz, 28. August 1887
Neulich machte mir Bar[on] Vogelsang den Vorschlag, ein Komitee zu bil-
den, bestehend aus mir, Gräfin Melanie Zichy-Metternich, Msgr. Scheicher
und Dr. Lueger, welches in aller Stille die christlich-soziale Allianz zu grün-
den und sich dann aufzulösen hätte.1940 Einverstanden und sobald ich nach
Wien komme, energisch in Angriff zu nehmen.
Es tut mir bei alledem weh, nicht meine guten Schwestern des Hl. Karl
Borromäus herberufen [ins neue Kloster in Ingrowitz] zu können. Sie wirken
seit bald 25 Jahren in Lösch zu vollster Zufriedenheit mit rastlosem Eifer,
Geschick und beispielvoller Hingebung zur Ehre Gottes und zum Wohle des
Nächsten. Dieses wahre Zeugnis bin ich im Gewissen verpflichtet, ihnen zu
geben, und will dies für den Todesfall hier ausdrücklich bemerkt haben.
Ich muss aber auch die Gründe angeben, welche mich trotzdem abhalten,
sie auch nach Ingrowitz zu berufen. Es sind dies zwei und zwar:
1. dass sie unter ihrer jetzigen General-Oberin in den Ruf zu germanisieren
gekommen sind und
2. dass sie ohnehin mehr Häuser übernommen haben, als die Zahl ihrer
Kongregationsmitglieder zu besetzen gestattet.
Was den 1. und Hauptgrund betrifft, so habe ich in Lösch niemals Germa-
nisationsgelüste ihrerseits wahrgenommen und Gelegenheit gehabt zu prü-
fen, ob dieser Ruf begründet sei. Ob nun wahr oder unwahr, [es] genügt das
Faktum, dass er besteht, um sie für hier ungeeignet zu machen. In dieser
Gegend wäre es für die Calviner wie gefunden, ihrem Hass gegen alles Ka-
tholische ein nationales Mäntelchen umzuhängen und als Verteidiger ver-
meintlich bedrohter Nationalität das ohnehin schwierige Wirken des kat[ho-
lischen] Instituts noch möglichst zu erschweren.
zusammenzutrommeln“. Er schlug wiederum eine Fusion der katholischen Blätter mit
dem Vaterland vor, das auch von den böhmischen Herren nur mehr „Leo Thun zu Liebe“
noch unterstützt werde: „In den Alpenländern finden die Leute das V[a]t[er]l[an]d zu cze-
chisch, und hier findet man es zu klerikal.“
1940 Vogelsang schrieb am 23.8., die genannten Persönlichkeiten sollten anfangs „die Sache in
aller Stille in die Hand nehmen und ordnen, sonst gibt es nur einen heillosen Wirrwarr.“
Er fuhr fort: „Ich bilde mir beinahe etwas darauf ein, Dr. Lueger gefischt zu haben – d. h.
eigentlich ist er ganz spontan zu mir gekommen.“ Lueger „wenn auch religiös etwas weni-
ger versiert“, stimme ganz mit ihm überein, „wünscht nur den Moment sich vorzubehal-
ten, wo er sich ganz offen erklären kann.“ An die Spitze des Damen-Komitees riet Gräfin
Zichy Wilhelmine Fürstin von Auersperg (1857–1909) zu stellen, die Schwiegertochter von
Vinzenz Auersperg und Tochter der von Belcredi stets skeptisch beäugten Fürstin Marie
Kinsky von Wchinitz und Tettau.
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115