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Wien, 8. November 1888
Also, der deutsch-öster[reichische] und der deutsche Klub haben sich wieder
vereinigt. Sie heißen jetzt „Vereinigte deutsche Linke“. „Das österreichisch“
ist aufgegeben! Wird dies „oben“ auch keine Wirkung tun?
Kardinal Ganglbauer klagt sehr, dass die „bösen Tschechen“ immer noch
die Königskrönung wollen. So Gott will, werden sie dies immer. Derjenige
aber, der dies im letzten Landtag zum Schrecken des Kardinals ganz richtig
verlangte, war kein Tscheche, sondern der deutsche Graf Franz Thun.2043
Heute nach der Sitzung des Abgeordnetenhauses Besprechung wegen der
Obmannswahl im Gewerbeausschuss. Die linke Minorität erklärte einzelnen
der Majorität und sogar meinem Klubobmann Dr. Rieger, sie würden aus-
treten, wenn ich gewählt würde. Wie frech! Diesem Terrorismus gegenüber
beschloss die Majorität, gerade mich morgen zu wählen.
Wien, 9. November 1888
Zum Obmann des Gewerbeausschusses gewählt. Die Linke erschien nicht.
Sie kann es nicht verwinden, dass ich den Gewerbestand den Liberalen ab-
wendig machte.
Die Regierungsblätter bemühen sich, den Eindruck, den das Weglas-
sen des Wortes „österreichisch“ aus der Bezeichnung „Vereinigte deutsche
Linke“ machen könnte, abzuschwächen. Sie sagen, in den andern Klubbe-
zeichnungen der Rechten käme es ja auch nicht vor.
Wie geistreich, aber bezeichnend. Natürlich wird der nun 112 Mann star-
ken Vereinigung von Berlin in der N. D. Zeit[un]g2044 freundlich zugenickt.
Wien, 17. November 1888
Gestern bei Alf[red] Liechtenstein gespeist und nach Tische besprochen,
was morgen bei Leo Thun zu besprechen sei. Tritt dieser von der Leitung
des Vat[e]rl[an]d nicht zurück, dann überlebt das Blatt kaum das neue
Jahr. Tritt er aber zurück, dann fällt diese mir zu, und zwar in einem Zu-
stand, der jenem einer geschlagenen Armee gleicht, von der sich die Bun-
desgenossen zurückziehen, mit leerer Kriegskasse und von mächtigen Fein-
den umgeben.
2043 In einer Replik auf Plener sagte Franz Thun am 5.10.1888 im Landtag: „Möge die Sal-
bung und Krönung mit der Krone des hl. Wenzel die Bande noch inniger schließen, die
den geliebten Herrscher mit seinem treuen Volke verbinden.“ Weil Thun – und nach
ihm auch Belcredis Neffe Ledebur – sich ausdrücklich als Deutsche bezeichnet hatten,
kommentierte die Bohemia vom 10.10.1888 ironisch: „Im Prager Rumpflandtag schießen
zuguterletzt noch die Deutschen hervor wie die Pilze nach einem warmen Regen“; galan-
dauer, Thun, 45–47.
2044 Wahrscheinlich Norddeutsche Zeitung.
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Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115