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18921012
Und die sonstigen Konsequenzen!
Lösch, 5. Dezember 1892
Abends in Brünn. Sitzung představenstvo Akc[iové] spol[ečnosti] Besedního
domu.
Der große Philosemit Prof. Nothnagel2364 lebt getrennt von seiner recht-
mäßigen Frau im Konkubinat mit einer Jüdin! Daher der Philosemitismus!
Zur Zeit Andrássys wollten die Ungarn durchaus Haynald zum Kardinal
ernannt haben. Pius IX. wollte es aus guten Gründen nicht. Aufs Äußerste
gedrängt, gab der Hl. Vater endlich unter der Bedingung nach, gleichzeitig
auch Fürstenberg, Erzbischof von Olmütz, zum Kardinal zu ernennen, den
man aber wieder in Wien nicht wollte. Wie gewöhnlich siegten die Ungarn,
und so wurden es beide!2365
Kurzsichtige merken es nicht, dass es das wohlbedachte Werk der Frei-
maurer ist, die Kaiser und Könige sowie sonst hochgestellte Personen, be-
sonders in Österreich, mit den unbedeutendsten und dümmsten Kerlen zu
umgeben.
Ein solcher ist auch der Oberstkämmerer G[ra]f Ferdinand Trauttmans-
dorff. Vor wenigen Jahren hatte einmal der Judenbaron Königswarter die
Frechheit, Trauttmansdorff zu Tische zu laden, und dieser die Dummheit,
die Einladung anzunehmen.
Hinterher drückte ihn der Gedanke schwer, dass [es] ihm als dem vor-
nehmsten Gaste obliegen werde, die Frau des Juden zur Tafel zu führen.
Tage und Stunden vergingen in Bangen. Da nahte der verhängnisvolle
Augenblick, mit ihm aber auch die Rettung.
Die Türen wurden geöffnet, eintrat Kardinal Haynald, gab frischweg der
Jüdin den Arm und führte sie zur Tafel. Nachdem die Gäste sich nach Tische
entfernten, ging auch der Kirchenfürst. Legte beim Portier die geistliche
Kleidung ab, stieg in den Fiaker und fuhr ins Theater oder sonst wohin!
Lösch, 7. Dezember 1892
Vom Hofe, für den das Vaterl[an]d seit 32 Jahren doch wesentlich kämpft,
hat außer Erzh[er]z[o]g Albrecht, der einmal 1 000 fl. gab, nicht ein Einziger,
jemals etwas getan oder gegeben!
2364 Hermann Nothnagel (1841–1905), Internist, Schüler Virchows, seit 1882 Professor in
Wien, prominentes Mitglied des Vereins zur Bekämpfung des Antisemitismus. Ob die
Anspielungen Belcredis auf sein Privatleben zutrafen, lässt sich nicht mehr verifizieren.
2365 Siehe Eintrag vom 25.4.1879.
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Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115