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92 I. Regulieren und Regieren
beliebten Metapher für die Donau. Schon im Zusammenhang mit den ersten
Dampfschiffprobefahrten auf der Donau spricht ein Autor der Zeitschrift Bei-
träge zur Kenntnis und Beförderung des Handels und der Schiff-Fahrt aus dem Jahre
1819 von Flüssen als von »Adern des Staatskörpers«.257 Die Metapher setzte eine
funktionale Verbindung zwischen Staatskörper und Ströme her. Denn »je nach-
dem die Staatsverwaltung sie sorgsam pfleget oder vernachlässigt«, ermöglichten
diese, dass »sich der innere Kreislauf der Staatskräfte freier und mächtiger, oder
träger und ohnmächtiger beweget«.258 In Verbindung mit der Staatskörperto-
pik eignet sich die Metapher nicht nur für die Entwicklung der Handels- und
Verkehrspolitik des Staates, sondern auch für eine Begründung seines inneren
Aufbaus. Wie der tschechische Historiker Franz Palacký 1848 formulierte, ist
die Donau »[d]ie wahre Lebensader dieses nothwendigen Völkervereins«, daher
dürfe sich »seine Centralgewalt [...] von diesem Strome nicht weit entfernen,
wenn sie überhaupt wirksam sein und bleiben« wolle.259 Da eine Lebensader
immer auch nach einem Herzen verlangt, wird der »zentralistische[.] Sinn des
Kreislaufmodells, der die belebende Mitte des Systems mit einer deutlich qualita-
tiven Auszeichnung versieht [...]«, in den meisten Ausformulierungen besonders
17. [Verfasser der Pentarchie]: Europa’s Cabinette und Allianzen. Leipzig: Otto
Wigand 1862, p. 187. Zitiert v. Horváth, Michael: Fünfundzwanzig Jahre aus der
Geschichte Ungarns von 1823–1848. Aus dem Ungarischen übersetzt v. Joseph
Novelli. Erster Band. Leipzig: F. A. Brockhaus 1867, p. 14. Rudolf, Erzherzog von
Österreich: Einleitung. In: ders. (Hg.): Die Österreichisch-ungarische Monarchie in
Wort und Bild. Übersichtsband. Abtheilung 2. Geschichtlicher Theil. Wien: Hof-
und Staatsdruckerei 1887, hier p. 12, Suppan: Die Donau und ihre Schiffahrt, p. 8.
257 »Zu den mächtigsten Beförderungsmitteln des innern Handelsverkehrs gehören
ohne Zweifel die Land- und Wasserstrassen. Sie sind als die Adern des Staats-
körpers zu betrachten, in welchen sich der innere Kreislauf der Staatskräfte freier
und mächtiger, oder träger und ohnmächtiger beweget, je nachdem die Staatsver-
waltung sie sorgsam pfleget oder vernachlässigt.« Cf. Beiträge zur Geschichte der
Fortschritte der Gewerbe-Industrie und des Handels in der österreichischen Mon-
archie in den drei letzten Jahren. In: Nau, B.S. v. (Hg.): Beiträge zur Kenntnis und
Beförderung des Handels und der Schiff-Fahrt, Mainz: F. Kupferberg 1819. Bd. II.,
Heft I. pp. 196–216, hier p. 203. auch. In: Prechtl, Johann Joseph (Hg.): Jahrbücher
des Kaiserlichen Königlichen Polytechnischen Institutes in Wien. Bd. I. Wien: Carl
Gerold 1819, pp. 355–380, hier p. 364.
258 Beiträge zur Geschichte der Fortschritte. In: Nau: Beiträge. 1819. Bd. II., Heft I. p.
203.
259 Palacký, Franz: Eine Stimme über Österreichs Anschluß an Deutschland. An den
Fünfziger-Ausschuß vom 11. April 1848. In: ders.: Österreichs Staatsidee Prag. Wien:
Verlag des Wissenschaftlichen Antiquariats H. Geyer 1972], p. 83.
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»Die Donau ist die Form«
Strom-Diskurse in Texten und Bildern des 19. Jahrhunderts
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- »Die Donau ist die Form«
- Subtitle
- Strom-Diskurse in Texten und Bildern des 19. Jahrhunderts
- Author
- Edit Király
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20388-9
- Size
- 15.9 x 24.1 cm
- Pages
- 446
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Postmoderne Traditionsentwürfe bei Claudio Magris und Péter Esterházy 11
- Magris: Der Fluss aus dem Wasserhahn 13
- Esterházy: P. E. – c’est moi 15
- Die »Erfindung einer Tradition« 18
- Donau-Schrifttum im 19. Jahrhundert 18
- Geschichte und Natur – Modelle einer Beziehung 23
- Die »Eroberung der Natur« oder eine »friedliche [...] Mission«? 27
- Die Rede über die Donau im 19. Jahrhundert: Majestät im
- Bettlergewand 31
- Ansatzpunkte zu einer Geschichte der Donauregulierung im 19. Jahrhundert 34
- Regulierungsdispositiv und Regulierungsdiskurs 40
- Staat und Regulierung 41
- Regulierungsmacht und Kultivierungsauftrag 41
- Zentralistischer Staat und Verkehrsförderung 44
- Wasserstraße und Eisenbahn – Konkurrenz von Technologien 44
- Gewässerregulierung und Wasserstraßennetz im Habsburgerstaat des 18. Jahrhunderts 45
- Konzepte der Donauregulierung im 19. Jahrhundert 47
- Nachschublinien 52
- Regulierungsvorhaben des 19. Jahrhunderts – Überblick und Fallbeispiele 54
- Die »Verbesserung« der Donaulandschaft im 19. Jahrhundert 54
- Die Donau als Ganzes 55
- Die große Donauregulierung in Wien: Lokales versus Globales 56
- Die große Donauregulierung bei Wien: Vorrang der Interessen der Schifffahrt 57
- Diskussionen um die große Donauregulierung bei Wien 62
- Das Eiserne Tor 64
- Rechtliche Grundlagen 67
- Technische und Finanzierungsschwierigkeiten 70
- Folgen der Regulierung 72
- Zusammenfassung 74
- Reales und Imaginäres 76
- Diskurs(e) und Regulierung 80
- »durch Gehorsam besiegen« 80
- »von der Natur selbst vorgezeichnet« 81
- Die natürliche Wasserstraße, Regulierung als Disziplinierung 82
- Das Paradies der Auwälder 84
- Das ökonomische Moment 87
- Zirkulation 88
- Wasserstraßen, Warenflüsse, Menschenströme 91
- Lebensader der Monarchie 91
- Belebungs- und Störfaktoren 96
- Zusammenfassung 99
- Die Feuersäule des Weltverkehrs 101
- Reisen unter Dampf 103
- Das Dampfschiff 103
- Anfänge der Dampfschifffahrt – »eigentlich sogenannte Dampfschiffe« und Donaudampfschiffe 106
- Die Etablierung der Dampfschifffahrt auf der Donau 116
- Altes und Neues 117
- Die Donau als »Welthandelsstrasse« 120
- Monopole 124
- Zusammenfassung 124
- A Steam Voyage down the Danube 126
- Die Wahrnehmung einer Einheit 127
- Reiseberichte über die ersten Dampfschifffahrten auf der unteren Donau 1835 bis 1845 130
- Britische und deutsche Perspektiven 138
- Annäherung en gros und en détail 140
- Erwartung und Erfahrung 144
- »Watt’s und Fulton’s titanische[.] Erfindung« 148
- Gleiten, Sehen, Panorama 152
- Zusammenfassung 154
- Die Erfindung des Donauraums 155
- Raumsoziologische Begrifflichkeiten 158
- Topologische Modelle 161
- Imaginierte Geografien 162
- Balkanismus und Donauraum 166
- Mitteleuropa und Donauraum 168
- Band zwischen Okzident und Orient 177
- Das Entdeckungsszenario 179
- Todesfluss – Alexander Kinglake 184
- Aus dem Garten in die Wildnis 188
- Zusammenfassung 194
- Die Donau als Landschaft – Sicht und Übersicht 197
- Reisen beschreiben – Beglaubigungsstrategien des Authentischen 200
- Schreiben, Lesen, Reisen – Apodemiken 201
- Das »subjektive« Reisen 203
- Reiseliteratur als Werkstatt und als Fabrik 207
- Reisebewegung, Blicke und Räume 208
- Bürgerliche Reise und Territorium 209
- Donaufahrten auf dem Papier 210
- Das Gebot der Visualisierung 213
- Sehen was nicht (mehr) zu sehen ist 214
- Landschaft als Bild 217
- Natur als Landschaft 218
- Raumbeschreibung und Raumschöpfung in der Literatur 221
- Wandel der Wahrnehmungsstrukturen 223
- Die »malerische Donaureise«. Kanonisierung von Bildserien 225
- Mappenwerke und illustrierte Reisebeschreibungen 229
- Neue Vervielfältigungstechniken – Lithografie, Stahlstich, Fotografie 251
- Prachtbände: Enzyklopädische illustrierte Wanderungen 257
- Reise quer durch das Quellenmaterial 258
- Literatursoziologische Kontexte 261
- Wort und Bild 263
- Das Malerische in der (Reise-)Literatur 265
- Das Gemälde der Natur 266
- Malen im Kopf 268
- Blickregie 269
- Zeichner und Reiseschreiber: Felix Philipp Kanitz 273
- Der bereiste Raum 274
- Die Reise auf dem Papier 276
- Bedeutung von Karten, Bildern und Panoramen 278
- Was die Karte nicht fasst 280
- Die Sichtbarwerdung einer Region 282
- Zusammenfassung 283
- v. Historisierung der Donau-Landschaft 285
- Optische Inszenierung einer historischen Landschaft 287
- Himmelsdom und Ruhmeshalle: Der Blick von der Walhalla 292
- Historische Narrative 298
- Geschichtsfluss, Erzählfluss 298
- Schleifen und Linien in der Zeit 300
- Reise als Form der Geschichte 302
- Geschichte aus der Erdoberfläche 305
- Der geschichtsträchtige Fluss 308
- »Das Alpha und Omega Österreichs« 311
- Rhein – Donau: literarische Parallelen 311
- Der Strom einer deutsch-österreichischen Kulturmission 314
- Historische Donaureisen: Der große Schwabenzug 317
- Die historische Performance der ungarischen
- Milleniumsausstellung 324
- Die Millenniumsfeier 1896 – konfligierende Konzepte 326
- Die Welt als Kulisse in der Millenniumsfeier 330
- Vollzug und Übertragung in der Feier 332
- Landnahme und Landkörper 333
- Nationales Territorium als Echo- und Theaterraum 335
- Inszenierungen der Stromregulierung 1896 336
- Mediale Aufbereitung des Eisernen Tores 337
- Die Eröffnungszeremonie 338
- Auslegungen der Feier 339
- Tausendjahre-Symbolik: Eingemeindung und Ausgrenzung 340
- Tor und Epochenschwelle 342
- Zusammenfassung 343
- Topik und Topographie der Schwelle 345
- Schwellenkunde 346
- Das Eiserne Tor – widersprüchliche Einschreibungen 346
- Topoi der Eisernen-Tor-Regulierung 351
- Die Insel an der Grenze: Ada Kaleh 356
- Das Eiserne Tor als literarische Heterotopie 362
- Raumzeit 365
- Topik der Insel an der Grenze 367
- Eine Insel, zwei Inseln 368
- Die Utopie der Niemandsinsel 369
- Reisen horizontal und vertikal 371
- Navigieren, Steuern, Schreiben 373
- Stromerzählungen 375
- Die Lesbarkeit der Schöpfung 380
- Zirkulation der Zeichen 381
- Gattungsdilemmata der Literaturgeschichte 383
- Navigieren – erzählen 384
- Zusammenfassung 388
- Resumee 389
- Literaturverzeichnis 391
- 1) Quellen 391
- 2) Literarische, philosophische und publizistische Referenztexte 403
- 3) Forschungsliteratur 406
- 4) Nachschlagwerke, Lexika 426
- Abbildungsverzeichnis 427
- Personenregister 430
- Sachregister 439