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354 VI. Topik und Topographie der Schwelle
entblößten Landschaft. Vor Schotter- und Steinhaufen posieren festlich gekleidete
Menschen. Dazu einige Maschinen. Statt der Natur rückt der menschliche Wille
bzw. die diesen ausführende Technik in den Mittelpunkt des Interesses.28
Wenn traditionell die Beschreibungen der Donaukatarakte der Schilderung
ihrer Gefahren und ihrer schroffen landschaftlichen Schönheit gewidmet waren,
und als das akustische Signal dieser gefährlichen Schönheit das Getöse des Was-
sers fungierte, das konkret wie im übertragenen Sinne jede menschliche Rede
verstummen ließ,29 so ändert sich diese Darstellungstradition drastisch mit dem
Beginn der Regulierungsarbeiten am 15. September 1890.
An die Stelle des tradierten Motivs tritt ein anderer akustische Effekt: der
Lärm. Dieser musste bei der Anzahl von Maschinen und Arbeitern ein ganz
beträchtlicher gewesen sein. Seine Schilderung wird ein obligates Element der
Beschreibungen und tritt an die Stelle jenes Topos, der in den meisten Darstel-
lungen des 19. Jahrhunderts als akustisches Signal des Eisernen Tores gehandhabt
wurde.30 Das Tosen des Wassers wird in den Berichten, die von 1890 bis 1896 in
28 Cf. Holzer, Anton u. Limbeck-Lilienau, Elisabeth: Die Erfindung der Donau. In:
Technisches Museum Wien: blau: Die Erfindung der Donau. Eine Ausstellung des
Technischen Museums Wien 15. Juni bis 27. November. Salzburg: Fotohof 2005.
29 »Die Donau wird hier auf beiden Seiten von hohen Felsen eingefaßt, welche Aus-
läufer der Karpathen und des Balkan sind; aber nicht blos am Ufer ragen diese
Klippen empor, sondern sie finden sich auch überall im Flusse selbst und veran-
lassen gefährliche Wirbel. Durch dieselben theilt sich hier die Donau in drei Arme
oder Canäle, von denen der in der Mitte der breiteste ist, jedoch wie die beiden
anderen viele Untiefen darbietet. Der Strom ist so reißend, daß man zwei deutsche
Meilen auf die Stunde rechnet, und die Schiffer können nur mit der äußersten Vor-
sicht durch die vielen engen Gänge und Felsen hindurch steuern, zumal das Tosen
der Wellen so stark ist, daß es fast unmöglich wird, ein gesprochenes Wort zu ver-
stehen. Die Türken nennen diese ganze Enge Demirkapi (das Eiserne Thor), sie ist
beinahe eine Stunde lang, und selbst wenn man glücklich über die vielen Wirbel des
Prigrada- Riffes hinaus ist (vor der Insel Bamil befinden sich allein deren 23), hat
man noch eine ziemliche Strecke durch Felsen zu passieren, welche indessen nicht
mehr so gefahrbringend sind.« Heksch: Die Donau von ihrem Ursprung, p. 683.
Selbst Reisende, die das Getöse nicht hat verstummen lassen, flechten diesen Topos
in ihre Schilderungen ein, indem sie es vermissen. Cf. Viszota, Gyula (Hg.): Gróf
Széchenyi István Naplói. [Die Tagebücher von Graf István Széchenyi] IV. kötet
(1830–1836) [Band IV.] Budapest: Magyar Tudományos Akadémia 1934, p. 71.
30 Széchenyi schrieb am 5. Juli 1830 bei seiner Reise durch das Eiserne Tor in sein
Tagebuch: »[W]ir passirten das Eiserne Thor mit angestrengter Arbeit. Von dem
»entsetzlichen Rauschen« indess – dass man ein paar Stunden sich nur durch Zei-
chen verständigen könne – und das uns Ob[erst] Jankovich ankündete, merkten wir
nichts.« Viszota (Hg.): Gróf Széchenyi István Naplói, p. 71.
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»Die Donau ist die Form«
Strom-Diskurse in Texten und Bildern des 19. Jahrhunderts
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- »Die Donau ist die Form«
- Subtitle
- Strom-Diskurse in Texten und Bildern des 19. Jahrhunderts
- Author
- Edit Király
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20388-9
- Size
- 15.9 x 24.1 cm
- Pages
- 446
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Postmoderne Traditionsentwürfe bei Claudio Magris und Péter Esterházy 11
- Magris: Der Fluss aus dem Wasserhahn 13
- Esterházy: P. E. – c’est moi 15
- Die »Erfindung einer Tradition« 18
- Donau-Schrifttum im 19. Jahrhundert 18
- Geschichte und Natur – Modelle einer Beziehung 23
- Die »Eroberung der Natur« oder eine »friedliche [...] Mission«? 27
- Die Rede über die Donau im 19. Jahrhundert: Majestät im
- Bettlergewand 31
- Ansatzpunkte zu einer Geschichte der Donauregulierung im 19. Jahrhundert 34
- Regulierungsdispositiv und Regulierungsdiskurs 40
- Staat und Regulierung 41
- Regulierungsmacht und Kultivierungsauftrag 41
- Zentralistischer Staat und Verkehrsförderung 44
- Wasserstraße und Eisenbahn – Konkurrenz von Technologien 44
- Gewässerregulierung und Wasserstraßennetz im Habsburgerstaat des 18. Jahrhunderts 45
- Konzepte der Donauregulierung im 19. Jahrhundert 47
- Nachschublinien 52
- Regulierungsvorhaben des 19. Jahrhunderts – Überblick und Fallbeispiele 54
- Die »Verbesserung« der Donaulandschaft im 19. Jahrhundert 54
- Die Donau als Ganzes 55
- Die große Donauregulierung in Wien: Lokales versus Globales 56
- Die große Donauregulierung bei Wien: Vorrang der Interessen der Schifffahrt 57
- Diskussionen um die große Donauregulierung bei Wien 62
- Das Eiserne Tor 64
- Rechtliche Grundlagen 67
- Technische und Finanzierungsschwierigkeiten 70
- Folgen der Regulierung 72
- Zusammenfassung 74
- Reales und Imaginäres 76
- Diskurs(e) und Regulierung 80
- »durch Gehorsam besiegen« 80
- »von der Natur selbst vorgezeichnet« 81
- Die natürliche Wasserstraße, Regulierung als Disziplinierung 82
- Das Paradies der Auwälder 84
- Das ökonomische Moment 87
- Zirkulation 88
- Wasserstraßen, Warenflüsse, Menschenströme 91
- Lebensader der Monarchie 91
- Belebungs- und Störfaktoren 96
- Zusammenfassung 99
- Die Feuersäule des Weltverkehrs 101
- Reisen unter Dampf 103
- Das Dampfschiff 103
- Anfänge der Dampfschifffahrt – »eigentlich sogenannte Dampfschiffe« und Donaudampfschiffe 106
- Die Etablierung der Dampfschifffahrt auf der Donau 116
- Altes und Neues 117
- Die Donau als »Welthandelsstrasse« 120
- Monopole 124
- Zusammenfassung 124
- A Steam Voyage down the Danube 126
- Die Wahrnehmung einer Einheit 127
- Reiseberichte über die ersten Dampfschifffahrten auf der unteren Donau 1835 bis 1845 130
- Britische und deutsche Perspektiven 138
- Annäherung en gros und en détail 140
- Erwartung und Erfahrung 144
- »Watt’s und Fulton’s titanische[.] Erfindung« 148
- Gleiten, Sehen, Panorama 152
- Zusammenfassung 154
- Die Erfindung des Donauraums 155
- Raumsoziologische Begrifflichkeiten 158
- Topologische Modelle 161
- Imaginierte Geografien 162
- Balkanismus und Donauraum 166
- Mitteleuropa und Donauraum 168
- Band zwischen Okzident und Orient 177
- Das Entdeckungsszenario 179
- Todesfluss – Alexander Kinglake 184
- Aus dem Garten in die Wildnis 188
- Zusammenfassung 194
- Die Donau als Landschaft – Sicht und Übersicht 197
- Reisen beschreiben – Beglaubigungsstrategien des Authentischen 200
- Schreiben, Lesen, Reisen – Apodemiken 201
- Das »subjektive« Reisen 203
- Reiseliteratur als Werkstatt und als Fabrik 207
- Reisebewegung, Blicke und Räume 208
- Bürgerliche Reise und Territorium 209
- Donaufahrten auf dem Papier 210
- Das Gebot der Visualisierung 213
- Sehen was nicht (mehr) zu sehen ist 214
- Landschaft als Bild 217
- Natur als Landschaft 218
- Raumbeschreibung und Raumschöpfung in der Literatur 221
- Wandel der Wahrnehmungsstrukturen 223
- Die »malerische Donaureise«. Kanonisierung von Bildserien 225
- Mappenwerke und illustrierte Reisebeschreibungen 229
- Neue Vervielfältigungstechniken – Lithografie, Stahlstich, Fotografie 251
- Prachtbände: Enzyklopädische illustrierte Wanderungen 257
- Reise quer durch das Quellenmaterial 258
- Literatursoziologische Kontexte 261
- Wort und Bild 263
- Das Malerische in der (Reise-)Literatur 265
- Das Gemälde der Natur 266
- Malen im Kopf 268
- Blickregie 269
- Zeichner und Reiseschreiber: Felix Philipp Kanitz 273
- Der bereiste Raum 274
- Die Reise auf dem Papier 276
- Bedeutung von Karten, Bildern und Panoramen 278
- Was die Karte nicht fasst 280
- Die Sichtbarwerdung einer Region 282
- Zusammenfassung 283
- v. Historisierung der Donau-Landschaft 285
- Optische Inszenierung einer historischen Landschaft 287
- Himmelsdom und Ruhmeshalle: Der Blick von der Walhalla 292
- Historische Narrative 298
- Geschichtsfluss, Erzählfluss 298
- Schleifen und Linien in der Zeit 300
- Reise als Form der Geschichte 302
- Geschichte aus der Erdoberfläche 305
- Der geschichtsträchtige Fluss 308
- »Das Alpha und Omega Österreichs« 311
- Rhein – Donau: literarische Parallelen 311
- Der Strom einer deutsch-österreichischen Kulturmission 314
- Historische Donaureisen: Der große Schwabenzug 317
- Die historische Performance der ungarischen
- Milleniumsausstellung 324
- Die Millenniumsfeier 1896 – konfligierende Konzepte 326
- Die Welt als Kulisse in der Millenniumsfeier 330
- Vollzug und Übertragung in der Feier 332
- Landnahme und Landkörper 333
- Nationales Territorium als Echo- und Theaterraum 335
- Inszenierungen der Stromregulierung 1896 336
- Mediale Aufbereitung des Eisernen Tores 337
- Die Eröffnungszeremonie 338
- Auslegungen der Feier 339
- Tausendjahre-Symbolik: Eingemeindung und Ausgrenzung 340
- Tor und Epochenschwelle 342
- Zusammenfassung 343
- Topik und Topographie der Schwelle 345
- Schwellenkunde 346
- Das Eiserne Tor – widersprüchliche Einschreibungen 346
- Topoi der Eisernen-Tor-Regulierung 351
- Die Insel an der Grenze: Ada Kaleh 356
- Das Eiserne Tor als literarische Heterotopie 362
- Raumzeit 365
- Topik der Insel an der Grenze 367
- Eine Insel, zwei Inseln 368
- Die Utopie der Niemandsinsel 369
- Reisen horizontal und vertikal 371
- Navigieren, Steuern, Schreiben 373
- Stromerzählungen 375
- Die Lesbarkeit der Schöpfung 380
- Zirkulation der Zeichen 381
- Gattungsdilemmata der Literaturgeschichte 383
- Navigieren – erzählen 384
- Zusammenfassung 388
- Resumee 389
- Literaturverzeichnis 391
- 1) Quellen 391
- 2) Literarische, philosophische und publizistische Referenztexte 403
- 3) Forschungsliteratur 406
- 4) Nachschlagwerke, Lexika 426
- Abbildungsverzeichnis 427
- Personenregister 430
- Sachregister 439