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Rahmenbedingungen22
gemeinsamen Nenner bringen zu wollen (Das moralisch-pazifistische Urteil stellt
diesbezüglich eine Ausnahme dar).32 Genauso wenig pressten sie ihre Geschichten
in ein theoretisches Großkonzept über den „Beginn“ der Zeitgeschichte oder über
die „Moderne“. Ferner schufen die Auguststudien schnell und stillschweigend eine
allgemeine und abzuarbeitende Themenpalette, die bis dato nur geringfügig erwei-
tert wurde: Alle Auguststudien befassen sich auf die eine oder andere Weise mit den
„patriotischen“ Straßenumzügen, dem Andrang auf die Geldinstitute, dem Klein-
geldrummel, den Hamsterkäufen, den Bahnhofsbildern oder der „Spionenjagd“.33
Bei diesen Alltagsmomenten handelte es sich um vielerorts zustande gekommene
Phänomene, deren Vergleich34 entlang traditioneller Faktoren (z. B. Milieu, Ge-
schlecht, Konfession, Alter) diverse Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzeigte.
In der Regel thematisieren die Auguststudien diverse Städte35, diverse ländlich
geprägte Regionen36, diverse Konfessionen37, diverse Berufssparten38 oder Insti-
tutionen39. Sie kommen zu dem Schluss, dass das Ausmaß der Kriegsbegeisterung
zu Kriegsbeginn in mehrfacher Hinsicht eingegrenzt werden kann, was, wie er-
wähnt, nicht bedeutet, dass dort, wo keine Begeisterung vorherrschte, der Krieg
abgelehnt wurde oder gegen diesen stets opponiert wurde. In welcher Form His-
toriker und Historikerinnen die Kriegsbegeisterung eingrenzen, wird im nächsten
Kapitel erläutert. Jetzt möchte ich kurz auf ein der Augustforschung inhärentes
Problem eingehen. Das Thema „Kriegsbegeisterung“ verleitet heutzutage schnell
zur unreflektierten Gegendarstellung. Keine der von mir in der Arbeit aufgegrif-
fenen Auguststudien bestreitet die Existenz einer Kriegsbegeisterung. Dessen un-
geachtet existieren einige unreflektierte Aufsätze, die von Beginn an einen „Bil-
dersturm“ inklusive Legenden-Etikette intendieren und die Kriegsbegeisterung
mittels unkontrollierter Gegenerzählungen als vollständigen Mythos oder als Lüge
ausweisen.40 Derartige Ausreißer kennt jeder Forschungsbereich, aber sie mindern
32 Die prinzipielle Ablehnung von Krieg als Grundkonsens.
33 Ein Beispiel sei vorläufig genannt: Die Angst vor „Fremden“, „Spionen“ bzw. vor „aliens“ führte
auf den britischen Inseln dazu, dass man dort während des Kriegs rund 32.000 Zivilisten und
Zivilistinnen aus Deutschland und Österreich-Ungarn internierte, vgl. Panayi (2012).
34 Meistens stellen diese Vergleiche (wie in meinem Fall) kurze Gegenüberstellungen oder fachli-
terarische Korrespondenzen dar, die primär auf das Hervorheben von überregionalen oder gar
länderübergreifenden Gemeinsamkeiten abzielen.
35 Vgl. z. B. die Stadt Freiburg im Breisgau: Geinitz (1998); Chickering (2009), 61–73.
36 Vgl. z. B. die südbayrische Landbevölkerung: Ziemann (2007).
37 Vgl. z. B. die jüdischen Milieus: Panter (2014).
38 Vgl. z. B. die Berliner Theater- und Bühnenleute: Baumeister (2005), 26–51.
39 Vgl. z. B. die „Soziale Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost“: Wietschorke (2008).
40 Vgl. z. B. Thies (2006).
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453