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Erkenntnisbarrieren | 39
Vergangenheit zu sein.113 Gleichwohl bin ich mir bewusst, dass mein erzähleri-
sches Umsetzen der erkenntnistheoretischen Positionierung nur durch interne Be-
züge innerhalb der Welt der Erscheinungen – der Lebensäußerungen, der Quellen
– erfolgt.114 Mehr kann ich von den Quellen auch nicht erwarten, zumal externe
Bezüge auf unsere Welt nicht realisierbar sind.115 Schließlich kann die daraus her-
vorgehende „unvollständig[e] und indirekt[e]“116 Geschichtsfiguration weder den
„Abfolgezwang der Metaphernsprache“117 überwinden noch aus ihrer Forschungs-
praxis heraustreten. Die vorliegende Ex-post-Sicht unterliegt, wie jede andere Ge-
schichtsfigurationen auch, ihren finalen Zwängen.118
Die geregelte Relativität dieses für mich forschungstechnisch annehmbaren
Gemisches aus Interpretation und Gebrauch von Quellen zeigt sich aber meiner
Ansicht nach in den erarbeiteten Fakten (lat. facere = tun, machen), die sich als
solche für ihre Etablierung durch überprüfbare Schritte stabilisieren müssen –
nackte Fakten existieren nicht – sie sind alles andere als selbstverständlich. Für
meine Faktenproduktion stehen mir aber keine direkten Zeitzeugen zur Verfügung
(Ich kann mich nicht in ein Gasthaus von 1914 setzen und dort die Leute obser-
vieren/überwachen). Dieser banale, aber basale Grund verwehrt mir schlichtweg
das Umsetzen der „dichten Beschreibung“ nach Clifford Geertz. Abseits unreali-
sierbarer Forschungswege gibt es offenkundig viele umsetzbare Ansätze innerhalb
und außerhalb der Geschichtswissenschaft. Ihr Aufgreifen hätte unweigerlich an-
dere Akzente und andere Interpretationen als die meinen hervorgebracht. Aber
selbst wenn man meine Quellen unter meinen Rahmenbedingungen noch einmal
lesen würde, käme man wohl zu einer anderen Geschichtsfiguration, zumal Fuß-
noten (Quellenverweise, Exkurse, Literaturempfehlungen, Anknüpfungspunkte
etc.) nichts endgültig verifizieren, sondern bloß gegebenenfalls falsifizieren kön-
nen.119 Es ließen sich daher viele (bereits textkompositorisch unterschiedliche)
Geschichtsfigurationen über Grazer Alltagsmomente zu Kriegsbeginn anfertigen
– eine davon liegt vor. Und als solche kann sie nichts endgültig beweisen oder
gar etwas „aufarbeiten“ respektive „bewältigen“. Sehr wohl wird aber für etwas
113 Vgl. dazu den Aufsatz „Trockene Rede über mögliche Ordnungen der Authentizität. Erster Ver-
such“ von: Strub (1997).
114 Ich beziehe mich hier auf den Aufsatz „Fakten oder Fiktionen? Zum Erkenntniswert der Ge-
schichte“ von: Gabriel (2013), 5 f.
115 Ebd., 5 f.
116 Veyne (1990), 14. Das Buch von Paul Veyne lässt sich leider nur spärlich mit meinem „moder-
nen“ Eklektizismus in Einklang bringen.
117 Koselleck (1991), 6.
118 Koselleck (22010b), 311.
119 Ein mehr als nur humoristischer Einstieg in die Funktionen von Fußnoten in: Grafton (1995).
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453