Page - 42 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Rahmenbedingungen42
worten auf Fragen bezüglich des Lebens in den Fabriken (beispielsweise in der
Grazer Waggonfabrik) wären zwar möglich gewesen, hätten aber die Seitenanzahl
in die Höhe getrieben. Der kurze, aber ereignisreiche Beobachtungszeitraum er-
wies sich in mehrfacher Hinsicht als vorteilhaft (sein Nachteil wird unten thema-
tisiert). Erstens ermöglicht ein kurzer Beobachtungszeitraum eine überschaubare
Quellenverschränkung. Zweitens erleichtert ein kurzer Untersuchungszeitraum
das Herausarbeiten verschiedener Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Graz
und anderen Städten. Dennoch ist meine Arbeit nicht streng komparatistisch ange-
legt. Und drittens setzt man sich bei kurzen Observationszeiten (möglicherweise)
weniger der Gefahr aus, dass man „der“ Geschichte einen teleologischen Flucht-
punkt unterstellt, indem man zum Beispiel die (zu bearbeitende) „Vorgeschichte“
nur durch die historische Brille des Endergebnisses liest. Im konkreten Fall bedeu-
tet dies, dass ich das Ende der Habsburgermonarchie – das man hin und wieder
mit den Wörtern, die mit dem Buchstaben „Z“131 anfangen, beschreibt – nicht zum
Fluchtpunkt meiner Analyse mache. Aus der Retrospektive lässt sich leicht „entwi-
ckeln“, zumal man das historische Endergebnis kennt und so für Alles und Nichts
Ursachen und Auslöser bestimmen kann. Ich folge daher Reinhart Koselleck,
wenn er schreibt: „Jeder Historiker kann für jedes Ereignis Gründe herbeischaf-
fen, so viele, wie es ihm beliebt oder wie ihm öffentlich Zustimmung verheißen.“132
Im Grunde genommen können wir aber nicht die Verbindungen zwischen den
Ursachen und den Wirkungen auftrennen.133 Schon deswegen nicht, weil das uns
zur Verfügung stehende Quellenmaterial nicht einmal ansatzweise an die Summe
aller Lebensäußerungen herankommen kann und Kausalketten sich wie vieles an-
dere schlichtweg nicht in den Quellen niederschlagen (können). Die vorgelegten
Kausalitäten und Zurechnungen stammen deshalb von mir, weil sie nur von mir
stammen können.134 Meine Angst vor basalen Kausalfehlschlüssen (als Folge von
geschichtswissenschaftlichen „Taschenspielertricks“) war groß und sicherlich nicht
131 Zusammenbruch, Zerfall, Zersetzung, Zermürbung, Zerstörung, Zerrissenheit, Zerbröckelung
bzw. zersetzen, zerfetzen oder zentrifugal: sprich die modernisierungstheoretische Zeitschiene
namens Aufstieg oder Fall (Dekadenz), die in eine Zäsur oder Zeitenwende (meistens fernab des
„dummen“ oder „glücklichen“ Zufalls) kulminiert.
132 Koselleck (2010c), 100. Zusätzlich dazu: Koselleck (2010a).
133 Vgl. dazu auch: Baberowski (22013), 132–139 und (2009), 121. Eine Zusammenfassung über die
Kausalitätsthematik in der Geschichtswissenschaft bietet: Wong (2013). Zudem sei auf den Sam-
melband „Causality in the Sciences“ verwiesen, vgl. Illari/Russo/Williamson (2011).
134 Zu den Reflexionsgrenzen geschichtswissenschaftlicher Erkenntnistheorie siehe vor allem den
Aufsatz „Repräsentation und Konstruktion: Wie viel Erkenntnistheorie braucht die Geschichts-
wissenschaft?“ von: Feest (2009).
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453