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Der „Demarche-Rummel“ | 101
formationspolitik. Besonders das k. k. Telegraphen-Korrespondenzbureau wurde
von den Lokalzeitungen und hier hauptsächlich vom Arbeiterwillen mehrfach kri-
tisiert. Führt man sich die Artikel, in denen man dieses Büro scharf missbilligte,
vor Augen, erstaunt es, wie sehr man nur wenige Tage später (im Krieg) diesem
Nachrichtenproduzenten von Seite der Grazer Presse wieder unreflektiert Glauben
schenkte. Der Arbeiterwille kritisierte, wie erwähnt, diese zentrale Nachrichten-
agentur der Monarchie am schärfsten. Einmal brachte er sogar einen argwöhni-
schen Artikel der bürgerlichen Zeitung „Die Zeit“ (Wien), in dem unter anderem
Folgendes zu lesen war:
„Seit mehr als einer Woche wird uns nun Tag für Tag von amtlicher Stelle, nämlich vom
k. k. Telegraphen-Korrespondenzbureau, zum Frühstück oder zur Jause, je nachdem,
eine ganze große Schüssel von Kröten serviert, nämlich eine Auslese ekelerregender Ar-
tikel aus zumeist gänzlich unbekannten Belgrader Schmierblättern, und das Amtsblatt
unserer Regierung, kaiserliche ‚Wiener Zeitung‘ und ‚Abendpost‘, das sonst beim Ab-
druck von Auslandsnachrichten in Farblosigkeit schwelgt, versieht sie Tag für Tag mit
einer bei diesem Blatte sonst gar nicht üblichen Einleitung oder pikanten Überschrift,
die die besondere Aufmerksamkeit des Lesers auf dieses Belgrader Geschreibsel hinlen-
ken soll.“149
Die harsche Kritik an diesem besagten Agenturbüro richtete sich zum einen auf
die ausgesandten Dementis und zum anderen auf ihr Auswahlverfahren. Immer
wieder missbilligte der Arbeiterwille, dass das Büro seit dem Attentat nur mehr
eine „Zeitungsschmutzschau“ liefere, die einer „k. k. Hetzkampagne“ gleiche.150
Schließlich würde das k. k. Telegraphen-Korrespondenzbureau – so der Vorwurf
– nur mehr Zeitungsnachrichten, die im Einklang mit den Interessen Österreich-
Ungarns stehen würden, bringen, während kritische Stimmen hingegen scharf un-
terdrückt würden. Die monarchiekritischen Aussagen in kleinen, unwichtigen,
serbischen „Skandalblätter[n]“151 – von denen man vorher noch nie etwas gehört
hatte – würden nun seit dem Attentat täglich unter die Leute gebracht werden.
Andere und durchaus gemäßigte Stimmen aus Serbien würde die besagte Nach-
richtenagentur dagegen nicht bringen. Gleichermaßen verhielte es sich mit den
monarchiekritischen Stimmen aus Italien oder Rumänien, die – so der Vorwurf –
nicht mehr vom k.
k.
Telegraphen-Korrespondenzbureau übermittelt werden wür-
149 Dunkle Machenschaften, in: Arbeiterwille, 13.7.1914 (Abendausgabe), 1.
150 Ebd., 2.
151 Ebd., 2.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453