Page - 168 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof168
vilisten, die einen kleinen Koffer und den Einberufungsschein mit sich trugen,
oder traf auf Männer, die Militär- und Zivilkleidungsstücke zugleich trugen:
„Während man in den letzten Tagen nur Uniformierte und Zivilisten sah, waren gestern
sehr viele ‚gemischt‘ gekleidet. Hier sah man einen Reservisten mit Feldbluse und Knie-
hosen, dort wieder einen mit Steirerrock und Uniformhose. Vielfach waren sie schon
ganz eingekleidet, nur die Kopfbedeckung fehlte: Steirerhut oder Radfahrermütze nah-
men sich zur Uniform gar drollig aus.“166
Zeitgleich mit diesen Vorkommnissen kam es zu einem Andrang auf das Amts-
haus und die Geldinstitute, zu Hamsterkäufen, zum Horten von Münzen, zu stei-
genden Auslösungen am Grazer Versatzamt, zu einem erhöhten Aufsuchen der
Sakralbauten sowie zu den abendlichen Menschenansammlungen inklusive der
„patriotischen“ Straßenumzüge durch die Innenstadt.167 Begriffe wie „hektisch“
und „hastig“ wurden dabei mehrmals zur Beschreibung dieser Alltagsmomente
der ersten Mobilisierungstage herangezogen. Im Tagblatt hieß es dazu: „Alle Stra-
ßen durcheilen hastige Menschen, um die letzten Vorbereitungen zu treffen.“168
Diese anfängliche „Mobilisierungshektik“ zeigte sich auch bei den beiden Grazer
Straßenbahnbetrieben (Grazer Stadtbahn und Mariatrosterbahn).169 Die Straßen-
bahnen fuhren – da viele ihrer Fahrer eingezogen wurden und es den Ausfall vieler
Waggons zu kompensieren galt – schneller als sonst.170 Mit Voranschreiten der
Die österreichisch-ungarische Armee hatte seit 1908 hechtgraue Uniformen. Eine Ausnahme
stellte die Kavallerie dar, die ihre „bunten“ Uniformen beibehielt. Wenngleich die hechtgrauen
Uniformen 1908 eingeführt wurden, so konnte man 1914 nicht allen Soldaten eine neue Uniform
geben. Aus diesem Grund gab es 1914 weiterhin viele k. u. k. Soldaten, die eine „bunte“ Uniform
trugen. Obendrein fehlte es den Soldaten an einer entsprechenden Winterbekleidung. Teilweise
wurden die Soldaten auch Zivil „ins Feld“ geschickt. Zu den Uniformen im Ersten Weltkrieg vgl.
u.
a. den Lexikonartikel „Uniform“ von Jürgen Kraus in: Hirschfeld/Krumeich/Renz (22014), 936–
937. Für Österreich-Ungarn: Schmidl (2016), 342 und die von ihm zitierte Literatur.
166 Ein Straßenbild, in: Grazer Tagblatt, 31.7.1914, 5. Vgl. auch: Schutzfarben, in: Grazer Tagblatt,
19.8.1914, 4.
167 Siehe den Teil: Alltag und Einheitsprüfungen.
168 In ernster Zeit, in: Grazer Tagblatt, 1.8.1914 (Abendausgabe), 2.
169 Die Mariatrosterbahn (die „Rote“) fuhr auf folgender Strecke: Glacis – Zinzendorfgasse – Schu-
bertstraße – Hilmteich – Hilmteichstraße – Mariagrün – Mariatrost. Zu den Grazer Straßenbah-
nen siehe: Kubinzky (2008).
170 Einige Quellen hierzu: Das heutige Straßenbild, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914 (Abendausgabe),
4; Die Wirkung der Mobilisierung, in: Arbeiterwille, 27.7.1914 (Abendausgabe), 2; Der gestrige
Tag, in: Grazer Montags-Zeitung, 27.7.1914, [ohne Seitenangabe]; Eingeschränkter Stadtbahn-
verkehr, in: Grazer Tagblatt, 1.8.1914 (Abendausgabe), 3.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453