Page - 186 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof186
wegen der überfüllten Personenzüge „viele“267 Einberufene, die von Graz aus per
Bahn in ihre Einrückkasernen fahren wollten, „von der Fahrt zurückgewiesen“.268
Auch dieser mehrmals in den Zeitungen zur Sprache kommende Umstand zeigte,
dass die organisatorische Realisierung der militärischen Mobilisierung (nicht rei-
bungslos, sondern weitgehend) reibungsarm verlief. Derweil bewirkte der einge-
schränkte Postzugverkehr, dass die in Graz gedruckten Zeitungen in der Provinz
verspätet ankamen. Vor diesem Problem standen sowohl die Grazer269 als auch die
Wiener Redaktionen. Die Wiener Zeitungen kamen laut einer Meldung der Grazer
Zeitungs-Expedition Josef A. Kienreich (Sackstraße) nun nicht mehr um 2 Uhr
nachmittags, sondern erst in der Nacht an.270 Ähnliches nehme ich für das Einlan-
gen jener ausländischen Zeitungen an, die nicht verboten wurden. Von derartigen
Problemen bezüglich der Zeitungszustellung war nicht nur die k. u. k. Doppelmo-
narchie betroffen. Nicht minder gravierend gestaltete sich die Postabwicklung in
Deutschland (z. B. in Freiburg im Breisgau271). Zugleich zog sich die Zustellung
der Briefe in die Länge.272 Diese schnell spürbare Verzögerung des bis vor Kurzem
noch altbewährten Konsums von Zeitungen und Briefen erhöhte wie das Unter-
binden des privaten Telefonverkehrs das individuelle Nachrichtenbedürfnis um
ein Vielfaches.273 Peter Rosegger schrieb in seiner Kolumne „Heimgärtners Ta-
gebuch“ in der Oktoberausgabe der agrarromantischen sowie bergromantischen
Zeitschrift „Heimgarten“ Folgendes:
„Für das Publikum verkehren zwischen Wien und Graz täglich zwei Personenzüge. In
Friedenszeit gab es deren ein paar Dutzend. Eine Eisenbahnfahrt von Wien bis Graz
dauert jetzt 14 Stunden. Der Schnellzug ist sonst in 4 Stunden gefahren. Der Frach-
tenverkehr ist eingestellt, der Postverkehr ganz vermindert. Heute kommen Briefe aus
Deutschland an, die Ende Juli dort abgegangen waren. Die Tageszeitungen und Zeit-
267 Das Bild am Bahnhof, in: Arbeiterwille, 27.7.1914 (Abendausgabe), 2.
268 Ebd.
269 Vgl. allein einige Stellungnahmen des Arbeiterwillens: An unsere Abonnenten!, in: Arbeiterwille,
6.8.1914, 4; An unsere geehrten Abonnenten in der Provinz, in: Arbeiterwille, 3.9.1914, 4; An
unsere geehrten Abonnenten in der Provinz!, in: Arbeiterwille, 5.9.1914, 6. Für das Jahr 1915: An
unsere geehrten Abonnenten in der Provinz!, in: Arbeiterwille, 3.3.1915, 6.
270 Verspätetes Eintreffen der Wiener Zeitungen, in: Grazer Volksblatt, 7.8.1914, 5.
271 Chickering (2009), 70.
272 Wo ist der Morgenpostzug hingekommen?, in: Grazer Tagblatt, 4.9.1914 (Abendausgabe), 7.
273 Es war nicht nur die Kommunikationsverzögerung, die die Zeitungen zu einer zusehends unsi-
cheren (aber dennoch in Anspruch genommenen) Informationsmöglichkeit werden ließ, siehe
die zwei Kapitel: Offengelegte Zeitungspolitik und Entscheidungshilfen.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453