Page - 204 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof204
Tam, aber dafür umso „pflichtbewusster“ und „leiser“ in den Krieg ziehen würden.
Die Stilisierung der Landbevölkerung, wie man sie an der Rede von der „Säule des
Reiches“349 erkennen kann, findet sich nicht nur in den bürgerlichen Tageszeitun-
gen. Aus naheliegenden Gründen schlug sich die Rede von der „Einfachheit“ und
„Opferwilligkeit“ der „alles“ ertragenden Bauernschaft auch im Sonntagsboten,
dem Organ des katholischen Bauernvereins (für Mittel- und Obersteiermark), nie-
der. In dem längeren Artikel „Bauerndank“ vom 9. August hieß es dazu:
„Eine ernste Zeit ist angebrochen. Eine Zeit der Kriegsnot, der Gefahr für das Vaterland.
Es ist eine schwere Zeit. Mit Bangen und Grauen sehen Tausende von Familien auf die
Entwicklung der Dinge. Mit Bangen sieht der Kaufmann, sieht der Handelsmann, der
Geschäftsmann und Fabriksinhaber in die Zukunft, wo der Krieg ihn in eine traurige
Lage bringen kann, sein Geschäft lahmlegt, ihn um Verdienst und Arbeit bringt. Und
was der Unternehmer verspürt, das trifft doppelt den Arbeiter, dessen einziger Halt sei-
ner Hände Arbeit und Verdienst ist. Fürwahr eine schwere Zeit. Aber da ist noch ein
Stand, noch ein Beruf, der gerade in den kritischen Zeiten eine helle Hoffnung des Vater-
landes bedeutet, der Bauernstand. Mag in Friedenszeiten, in Zeiten guten Handels- und
Geschäftsganges, die schwerfällige bäuerliche Betriebsweise mit ihrem mageren Erfolg
mitleidig belächelt werden, in kritischen, kriegerischen Zeiten ist Staat und Regierung,
Städter und Kaufmann froh, wenn ein kräftiger zahlreicher Bauernstand existiert. [...]
Auf seinen breiten, kräftigen Schultern trägt er die Hauptlast des Krieges und er trägt sie
willig, gern und mit Begeisterung.“350
Eine Stilisierung der Landbevölkerung unternahm auch Peter Rosegger in seiner
Zeitschrift „Heimgarten“. Einmal erweiterte er den „stillen“ Kreis um die Einbe-
rufenen sowie um das einkommensschwächere Milieu. So schrieb er in der Sep-
temberausgabe des Heimgartens: „Im ganzen waren die Einberufenen, die man
überall sah, voll ruhiger, ernster Zuversicht. Am meisten rührt mich die stille Hel-
denhaftigkeit des ärmeren Volkes, das alles, was von ihm verlangt wird, klaglos
hingibt.“351 Nach dem großen Truppenabmarsch (11. August) kehrte trotz gradu-
ellen Stabilitätsverlusts der bisher gekannten Alltagsbewältigung in gewisser Weise
Artikel: Stille Helden, in: Grazer Vorortezeitung, 9.8.1914, 4; Stille Helden, in: Deutsche Zeitung,
9.8.1914, 1.
349 Arbeit!, in: Tagespost, 14.8.1914, 1. Vgl. auch: Stimmungsbilder vom Lande, in: Grazer Volks-
blatt, 15.8.1914, 1.
350 Bauerndank, in: Sonntagsbote, 9.8.1914, 1.
351 Heimgärtners Tagebuch, in: Heimgarten (1914), Nr. 12, 937.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453