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| Alltag und
Einheitsprüfungen300
und einzelne Parteien haben bereits die Kündigung erhalten. Wir werden demnächst die
Namen dieser famosen Herren an den Pranger hängen, vorläufig sagen wir Pfui Teufel!
über solche Jesuiten. Wie überall, haben auch bei uns die [... Greißler/Krämer] keine
andere Sorge gehabt, als die, ihren Profit durch ungeheure Preissteigerungen bei allen
Artikeln zu verdoppeln. […] Arm wäre Österreich, müßte es sich auf diese Krämersee-
len verlassen, die das Vaterland nur beim Biertisch verteidigen.“280
Beispielgebend ist hier auch der Arbeiterwille-Artikel „Pfui Teufel!!“281 aus den
letzten Augusttagen. Der Artikel stellt rückblickend eine von zahllosen Einheits-
prüfungen dar. Die Zeitungen prüften nämlich permanent die Menschen auf ihre
„Einheitstauglichkeit“ hin. Jene Menschen, die sich nicht an die Vorgaben des
Staats und an die („ungeschriebenen“) Ge- und Verbote der Redaktionen hielten,
wurden meistens stigmatisiert und kriminalisiert. In dem Artikel „Pfui Teufel!!“
liest man beispielsweise von zwei Vermietern, die den Krieg nur zu ihren Gunsten
ausnützen würden. Jedenfalls taten sie dies in den Augen des Arbeiterwillens, wes-
wegen sie von ihm scharf attackiert wurden:
„Ein recht kräftiges ‚Pfui Teufel!‘ muß einem unwillkürlich entschlüpfen, wenn man er-
fährt, wie einzelne Zinsgeier in der Zeit, wo alles tätig ist, die Not im Lande zu mildern,
gegen die armen Familien der Hinterbliebenen vorgehen. So wird uns von einem Falle
in der Schönaugasse 9 berichtet. Dort hat der Kaufmann Karl Frühwirt drei Stockwerke
des Hauses gepachtet. Im zweiten Stockwerke wohnt die Frau eines Reservisten mit ei-
nem Kind. Sie bat den Hausherrn, er möge mit dem Zins so lange warten, bis sie die
Familienunterstützung erhält. Die Antwort war, daß sie von ihm beschimpft wurde. Sie
sei ein faules Ding. Sie soll ihr Kind auf die Kost geben und in den Dienst gehen, meinte
er, der gute Patriot. Die Familie soll den Mann ins Feld schicken, das Kind weggeben,
die Möbel verschleudern, die Wohnung auflassen und die Frau soll dann vergebens von
einer Gnädigen zur anderen laufen, weil jetzt bekanntlich die Dienstboten entlassen,
aber nicht aufgenommen werden. Das alles aber nur, weil der Herr Kaufmann nicht 14
Tage oder drei Wochen auf den Zins warten konnte. Dabei ist diese Frau die einzige im
Hause, deren Mann im Felde ist. Die Frau beantwortete sein Vorgehen mit einem kräf-
tigen ‚Pfui Teufel!‘, in das wir [der Arbeiterwille] mit ganzem Herzen einstimmen. Sie
ist bereits übersiedelt und hat zu den anderen Sorgen noch die hohen Übersiedelungs-
kosten gehabt.“282
280 Leoben-Donauwitz, in: Arbeiterwille, 6.8.1914, 5.
281 Pfui Teufel!!, in: Arbeiterwille, 26.8.1914, 3.
282 Ebd.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453