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Infiltrierendes „Spinnennetz“ | 327
Grazer Presse sprach – wie die Informationspolitik der Behörden404 – einerseits
Warnungen, andererseits Entwarnungen aus. Dass Appelle zur Wachsamkeit und
Besonnenheit in ein und demselben Artikel parallel verlaufen konnten, sei am Ar-
beiterwillen dargestellt:
„Bei der großen Erregung der Bevölkerung ist es nur natürlich, daß die Sorge vor der
Spionage bei ängstlichen Gemütern in eine Spionenfurcht umschlägt, die in jedem Men-
schen, dessen Nase einem auffällt, einen Spion sieht. [...] Also: Vorsichtig sein und Spi-
one unschädlich machen – aber auch vernünftig und besonnen sein, nicht in jedem
Menschen gleich einen Spion wittern und vor allem keine Exzesse und Bedrohungen
Verhafteter, da es auch Unschuldige sein können!“405
Dieses vorläufige Resümee des Arbeiterwillens rekurrierte wie andere Zeitungsap-
pelle auf den Anstieg an Denunziationen innerhalb der steirischen Bevölkerung.406
Unter den in Gewahrsam genommenen Zivilpersonen, die unter Spionageverdacht
standen, befand sich zum Beispiel der Grazer Bildhauer Johannes Neuböck.407 Er
wurde in einem Kaffeehaus in Eisenerz von einem Wachmann zur Ausweisleis-
tung angehalten, weil man ihn für einen serbischen oder russischen Spion hielt.
Da er sich nicht ausweisen konnte, nahm ihn der Wachmann in Gewahrsam.408
Erst nach einiger Zeit wurde Neuböck wieder freigelassen. Missverständnisse wie
dieses kamen in den Zeitungen mehrmals zur Sprache. Es ist irritiert daher nicht,
dass die Redaktionen aufgrund des „zahlreiche[n] Herumtreiben[s] verschiedener
staatsgefährlicher Elemente“ dazu rieten, die entsprechenden Ausweise stets bei
sich zu tragen.409 Dass man den Ausweis griffbereit haben sollte, hatte auch noch
andere Gründe. Schließlich wurden zur Aufrechterhaltung von „Ruhe und Ord-
404 Moll (2007a), 248.
405 Spionage und Spionenfurcht, in: Arbeiterwille, 9.8.1914, 1.
406 Zu den unterschiedlichen Spielarten und Motivlagen der Denunziationen in der Steiermark:
Moll (2007a), 208–229. Eine knappe Zusammenfassung über die Denunziationen in Wien bietet:
Healy (2007), 148–159.
407 Johannes Neuböck (1891–1979), Bildhauer, schnitzte 1915 den von Oskar Stolberg modellierten
„Landsturmmann in Eisen“, der am Grazer Bismarckplatz (seit 1947: Am Eisernen Tor) aufge-
stellt wurde. 1927 schuf er das Kriegerdenkmal in Arnfels. Vgl. Riesenfellner (1994), 17, 43 sowie
den Lexikonartikel „Neuböck“ in: Reismann/Mittermüller (2003), 343.
408 Bildhauer Hans Neuböck als Spion verhaftet, in: Grazer Volksblatt, 8.8.1914, 4. Vgl. parallel: Bild-
hauer Hans Neuböck als Spion verhaftet, in: Kleine Zeitung, 9.8.1914, 4. Abseits der Zeitungen
vgl. Moll (2007a), 240 f. und (2001), 324.
409 Publikum Achtung!, in: Grazer Volksblatt, 10.8.1914 (18-Uhr-Ausgabe), 2. Vgl. parallel: Publi-
kum Achtung!, in: Kleine Zeitung, 11.8.1914, 6.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453