Page - 330 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen330
„Ausforschung der Dame“ ein.422 Geschichten, in denen Menschen etwas Ess- bzw.
Konsumierbares geschenkt bekamen und dessen Verzehr Übelkeit hervorrief, fin-
den sich einige Male in den Grazer Zeitungen. Zur Entspannung der „nervenauf-
reibenden“ Zeit trugen sie nicht bei. Dem war so, weil man nie wusste, was nun
genau hinter diesen Vergiftungsgeschichten steckte. War es die Tat eines Spions?
Oder war einfach nur der Tabak alt?
Die Angst vor Sabotage und Attentaten sowie prinzipiell die Infiltrationsängste
führten zu zahlreichen Verhaftungen. Rückblickend lässt sich klar deren antislo-
wenische Stoßrichtung erkennen. Graz lag mit 100 (nachweisbaren) Verfahren im
steirischen Landesdurchschnitt.423 Das Gros der antislowenischen Repressions-
maßnahmen424 verteilte sich auf die südsteirischen Bezirke.425 Rund 80 Prozent al-
ler zwischen Sarajevoer Attentat und Jahresende 1914 in der Steiermark erfolgten
(im Sinne von heute noch nachweisbaren) Festnahmen fielen in die Monate Juli
und August.426 Wie viele Festnahmen es letztendlich wirklich gab, lässt sich heute
nicht mehr sagen, zumal für einige steirische Regionen kein Aktenmaterial mehr
vorliegt. Folgt man den im Jahr 1917 im Reichsrat vorgetragenen Interpellationen
des slowenischen Abgeordneten Karl Verstovšek, wurden bis Jahresende 1914 in
der Steiermark rund 2.000 Slowenen verhaftet.427 Von den Verhaftungen waren für
gewöhnlich um die 40 Jahre alte Männer aus der Unter- und Mittelschicht betrof-
fen.428 Es ging in den meisten Fällen weniger um rechtliche Ahndung, sondern
vielmehr um die Zurückdrängung des „Slowenischen“. Fatal erwies sich hierbei
422 Ebd.
423 Moll (2007a), 429. Grundlegendes zu den behördlichen Auswirkungen von „Sarajevo“ (Direkti-
ven, Befehle, das Anfertigen von langen schwarzen Listen von bereits im Vorfeld als politisch ver-
dächtig bzw. „serbenfreundlich“ geltenden Personen aus dem In- und Ausland, die mehrheitlich
aber auf haltlose Denunziationen zurückgingen) in: Moll (2007a), 172–207, 251–300; (2002a);
(2002b) und (2000b).
424 Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Einvernahmen, Vereinssistierungen, „Konfinierungen“ etc.
425 Die Grazer Presse berichtete unaufhörlich über diese Maßnahmen in der Steiermark, Kärnten
und Krain (Dežela Kranjska). Eine Ausnahme stellten lediglich die Sistierungen „slawischer“
Vereine in Graz dar. Über sie las man nichts in den Grazer Zeitungen. Zu den anderen Maßnah-
men vgl. exemplarisch: Hausdurchsuchungen, in: Grazer Tagblatt, 31.7.1914 (Abendausgabe), 4:
Die Staatspolizei in Ljubljana „hat beim gewesenen Bürgermeister Ivan Hribar eine umfassende
Hausdurchsuchung vorgenommen, desgleichen auch bei anderen maßgebenden slowenischen
Persönlichkeiten, über das Ergebnis ist noch nichts bekannt.“
426 Moll (2007a), 424–445.
427 Ebd., 466–499.
428 Ebd., 445.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453