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Modeboykott | 355
rer Sprachen!“544 Obwohl sich der erste, der damals im Krieg ausgesprochenen,
Boykotte bewusst gegen die „eigenen“ Leute richtete (nämlich gegen die Grazer
„Lebensmittelwucherer“), ließ der Modeboykott nicht lange auf sich warten. Der
Modeboykott richtete sich im Endeffekt ebenfalls, wenngleich unbewusst, gegen
einige Grazer und Grazerinnen (nämlich gegen jene, die in Graz die Modehäu-
ser und Modegeschäfte führten). Seit Mitte August häuften sich in der bürgerli-
chen Presse die Boykottaufrufe545 gegen französische, englische (und manchmal
belgische) Modeerzeugnisse. Die imposante Formel hieß diesbezüglich „Los-von-
Paris!“ und fand sich des Öfteren in den Zeitungen. Die deutschnationalen Zei-
tungen gingen dabei sogar so weit, die Uniformen der Grazer Sicherheitswache
zu kritisieren. Sämtliche Teile dieser Uniform, das gelte sowohl für die alten als
auch für die im Oktober 1914 ausgewechselten Teile, entsprächen nicht der Zeit,
weil die Sicherheitswache „wieder die gänzlich unzeitgemäße französische Kopf-
bedeckung“ erhielt.546 Über diesen Umstand zeigte man sich sichtlich verärgert,
weil dies einem zentralen Anliegen der deutschnationalen Presse zuwiderlief.
Die entsprechende Aufforderung „Fort mit den französischen Kappen!“547 blieb
jedoch ungehört oder zumindest unberücksichtigt, was in gewisser Weise das Zu-
sammenleben in der Stadt weiter erschwerte. Erschwert wurde es dahingehend,
dass sich der Missmut, die Unzufriedenheit und das Unverständnis bezüglich des
„falschen“ Ausgangs dieser Uniformfrage548 bei manchen Menschen erhöhte. Die
deutschnationalen Zeitungen, die sich hinsichtlich der Uniformfrage vom Regie-
rungskommissär ein „Machtwort“549 erhofft hatten, wurden von ihm enttäuscht.
Zumindest bis März 1915. Zu Ostern 1915 bekam die Sicherheitswache neue Uni-
formen inklusive der „deutsche[n] Pickelhaube.“550 Die deutschnationale Presse
544 Fort mit den Waren unserer Feinde! Fort mit der Nachäfferei ihrer Sprachen!, in: Grazer Tagblatt,
14.8.1914, 3.
545 Aufruf an alle Frauen und Mädchen von Graz, in: Grazer Volksblatt, 26.8.1914, 5.
546 Die französische Uniform unserer Sicherheitswache, in: Grazer Tagblatt, 20.10.1914 (Abendaus-
gabe), 4.
547 Vom städtischen Sicherheitswachkorps, in: Grazer Mittags-Zeitung, 9.11.1914, 3.
548 Die amtliche Direktive zur Neuadjustierung (und Neuorganisierung) der Grazer Wache findet
sich in: Abänderung des Organisationsstatutes und der Adjustierungsvorschrift für die städtische
Sicherheitswache in Graz, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz (10.12.1914), 455;
Adjustierungsvorschrift für die städtische Sicherheitswache in Graz, in: Amtsblatt der landes-
fürstlichen Hauptstadt Graz (10.12.1914), 457.
549 Die Neuuniformierung unserer Sicherheitswache, in: Grazer Tagblatt, 3.10.1914 (Abendaus-
gabe), 2, 3.
550 Die Neuuniformierung der städtischen Sicherheitswache, in: Grazer Tagblatt, 31.3.1915 (Abend-
ausgabe), 2.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453