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Soldaten abseits der Truppe | 373
vielen Fällen wurden diese Soldaten in die „Landes-Irrenanstalt Feldhof“ bei Graz
überstellt. Etwaige Anstaltsbesuche mussten der Presse zufolge bereits in der ers-
ten Kriegswoche aufgrund der dezimierten Belegschaft „bis auf weiteres eingestellt
werden“.649 Für die „Irre[n]“ bedeutete dies mitunter, dass sie angebunden wurden.650
Die Anstaltsversorgung brach ab der zweiten Kriegshälfte völlig zusammen.651 Ferner
berichtete die Presse von Soldaten, die in Graz oder außerhalb von Graz Suizid begin-
gen.652 In der Regel führte die Presse keine Gründe an, warum die Soldaten den Sui-
zid wählten. Ein Kaderkommandant des 9.
Feldjägerbataillons erschoss sich am Gra-
zer Schlossberg (am Philosophenweg). Er trug seine Felduniform. Ein pensionierter
Major wählte in seiner Wohnung in der Nibelungengasse den Suizid. Ein Oberleut-
nant schoss sich in seiner Wohnung in Geidorf in die Schläfe. Ein Oberstleutnant
schoss sich in seiner Wohnung am Glacis in die Herzgegend. (Bei dem „Oberleut-
nant“ und dem „Oberstleutnant“ handelte es sich nicht um dieselbe Person). Wie
bereits erwähnt, beging auch ein Hauptmann in der Grazer Stiegenkirche Suizid.
Abseits der Grazer Fälle galten die anderen Soldatensuizide als erwähnenswerte Er-
eignisse.653 Außerdem entnimmt man der Presse zahllose Soldatenunfälle jedweder
Intensität.654 Als Unfallursache nannte die Presse entweder eine Unvorsichtigkeit des
Soldaten oder erhöhten Alkoholkonsum. So haben sich zum Beispiel der Presse zu-
folge in Graz mehrere Soldaten aus Unvorsichtigkeit angeschossen oder eine Opium-
überdosis herbeigeführt.655 Jenen hilfsbedürftigen Soldaten, die sich verletzten oder
erschöpft zusammenbrachen, galt es zu helfen. Die Soldaten, die sich prügelten, stah-
len, andere überfielen oder die Nachtruhe störten, wurden kritisiert (wenn möglich
649 Einstellung der Besuche in der Lande[s]-Irrenanstalt Feldhof, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914
(Abendausgabe), 4.
650 Studenten als Samariter, in: Grazer Montags-Zeitung, 10.8.1914, [ohne Seitenangabe].
651 Watzka (2006), 40.
652 Zum Folgenden vgl. Freiwilliger Tod eines Hauptmannes, in: Grazer Tagblatt, 3.8.1914 (Abend-
ausgabe), 7; Selbstmord eines Hauptmannes, in: Arbeiterwille, 3.8.1914 (Abendausgabe), 4;
Selbstmord eines pensionierten Majors, in: Arbeiterwille, 22.9.1914, 3; Selbstmord, in: Grazer
Tagblatt, 14.8.1914, 11; Lebensüberdruß eines Oberstleutnants, in: Grazer Tagblatt, 13.8.1914, 3.
653 Vgl. nur: Selbstmord eines Hauptmannes in Leoben, in: Grazer Volksblatt, 29.7.1914 (Abendaus-
gabe), 3.
654 Hinzu kommen noch die Arbeitsunfälle in den Betrieben und Fabriken. Folgende Unfälle zählen
zu den schlimmsten der Monarchie: Am 17. Juli 1917 kam es in der Blumauer Pulverfabrik zu
einer Explosion, die über 100 Menschen tötete. Am 18. September 1918 kam es in der Muni-
tions- und Sprengmittelfabrik Wöllersdorf zu einer Explosion, die nach offiziellen Angaben 277
Menschen, vorwiegend Frauen, tötete. Vgl. Hautmann (1987), 56.
655 Drei Beispiele seien hier genannt: Andritz. (Durch Unvorsichtigkeit sich angeschossen.), in: Gra-
zer Vorortezeitung, 23.8.1914, 1; Vergiftung durch Opium, in: Arbeiterwille, 2.8.1914, 4; Aus
Unvorsichtigkeit, in: Arbeiterwille, 24.9.1914 (Abendausgabe), 3.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453