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Neue Wachposten | 381
mit Gewehren und Munition ausgestattet.698 Vereine, die behördlichen Anfragen
durch direkte Absage oder durch Ausbleiben einer Antwort699 nicht nachkamen,
attestierte man von einigen steirischen Bezirkshauptmannschaften fehlende „pa-
triotische“ Gesinnung. So berichtete zum Beispiel die BH Liezen, dass in ihrem
politischen Bezirk „keine patriotisch gesinnten Radfahrerverbände bestehen, wel-
che sich im Bedarfsfalle freiwillig zum militärischen Verbindungsdienste verwen-
den lassen würden“, da „im Bezirke nur ein Radfahrerverein“ existiere und „das ist
der sozialdemokratische Arbeiter-Radfahrerverein in Rottenmann.“700 An diesem
Aktenblatt erkennt man, wie sehr sich das Politverständnis eines Beamten in den
Behördengang niederschlagen konnte. In diesem Fall bezeichnete der Beamte den
sozialdemokratischen Radfahrerverein verklauselt als „unpatriotisch“. Dem sei so,
weil der Verein nicht an der Aufrechterhaltung von „Ruhe und Ordnung“ inte-
ressiert sei bzw. sich nicht an ihr beteiligen wolle. Der Verein machte sich zwar
nicht vor dem niedergeschriebenen Gesetz schuldig, aber er sei dennoch „unpat-
riotisch“, weil er eben nicht gemäß den Einheitsvorstellungen des Beamten agierte.
Bezüglich der Aufrechterhaltung von „Ruhe und Ordnung“ nahmen die neu
geschaffenen Wachposten eine zentrale Rolle ein. Die von der Grazer Wache und
dem Landsturm gestellten Wachposten standen primär an Bahngleisen, an Brü-
ckenköpfen, bei Telegrafenleitungen, vor öffentlichen Gebäuden und vor Brunnen.
Es galt die Ausweispflicht (Gleichwohl wurde der Ausweis nicht immer kontrol-
liert). Ebenso untersagte die Statthalterei die Ausübung der Jagd in der Nähe von
militärisch bewachten Eisenbahnen, Brücken und Wasserwerken.701 Zwischen den
Wachposten und den Passierenden kam es oft zu Zusammenstößen, denen für ge-
wöhnlich schlichte Missverständnisse zu Grunde lagen. Nur in wenigen Fällen
leisteten Zivilpersonen den Aufforderungen der Wachposten dezidiert nicht Fol-
ge.702 Manche dieser Zusammenstöße endeten mit Warnschüssen, andere wiede-
698 Militärkommando Graz an Statthalterei-Präsidium, 1.11.1914 und 9.11.1914, in: StLA, Präs.
E91/2054/1914.
699 BH Judenburg an Statthalterei-Präsidium, [Ende August 1914], in: StLA, Statt. Präs.
E91/2054/1914.
700 BH Liezen an Statthalterei-Präsidium, 1.9.1914, in: StLA, Statt. Präs. E91/2054/1914.
701 Kundmachung, in: Verordnungsblatt der k. k. steiermärkischen Statthalterei (14.10.1914), 361.
Vgl. auch: Kundmachung, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz (20.10.1914), 434.
Für die Zeitungen vgl. Die Jagd zur Kriegszeit, in: Grazer Tagblatt, 20.10.1914 (2. Morgenaus-
gabe), 3.
702 Ein Beispiel: „Donnerstag gegen 11 Uhr nachts spielte sich in der Eggenberger-Unterfahrt ein
Vorfall ab, der recht deutlich beweist, wie wenig ein Teil der Bevölkerung den vielen ergangenen
Belehrungen hinsichtlich des Verhaltens gegenüber den Militärwachen Beachtung schenkt, und
wie unvernünftig manche Menschen sind. Gegen 11 Uhr nachts passierte ein Herr, dazu noch
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453