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Neue Wachposten | 385
auf allen Bahnanlagen sowie Militärbauten freigegeben.724 Dies galt auch für Au-
tos, die trotz Aufforderung nicht anhielten. Es wurden daher mehrmals „[d]rin-
gende Mahnung[en] an die Lenker von Fahrzeugen aller Art“ ausgegeben.725 Ins-
besondere dem ominösen Auto, dem sogenannten Goldauto, das angeblich mit
mehreren Millionen oder Milliarden Franken (oder dutzenden Goldbarren) von
Frankreich nach Russland fuhr, schenkte man in diesen Tagen hohe Aufmerksam-
keit. Rückblickend handelt es sich hierbei um ein variantenreiches Gerücht, das
sich nahezu überall in Deutschland greifen lässt.726 Die Grazer Presse lieferte spo-
radische Fahndungshinweise. Denen zufolge sei primär nach jungen Frauen, die
hinter dem Steuer säßen, Ausschau zu halten.727 Wie intensiv man nach dem Gold-
auto728 fahndete, zeigt sich in einem Bericht der maschinschriftlichen Kriegs-Zei-
tung des Grazer Akademischen Turnvereins (A. T. V.). Dieses zunehmend profes-
sioneller werdende Organ des A. T. V. Graz wurde bis Jahresende nur einige Male
veröffentlicht – danach nahezu wöchentlich. Sieht man von dem zum Teil schwer
verständlichen „Verbindungsjargon“ ab, finden sich mehrere Belege, die einen im-
pulsiven Einsatz des bürgerlichen/akademischen Milieus nahelegen. Als solcher
gilt auch jener Augusteintrag, der die Jagd auf das Goldauto festhält:
„Keil schreibt: Das gediegenste Erlebnis war bisher die Autogeschichte: [...] Also Alarm.
Sofort wurden 3 Mann kurzerhand der [... Wache] entnommen. Ersatz eingeleitet und
im Schnellschritte gings zum nächsten Bahnübergang drauaufwärts. Unterwegs Beleh-
rung der Mannschaft, Feuerverteilung auf Chauffeur und Räder. Am Orte Vereinbarung
mit dem Schrankenwärter [...] und kaum hatten wir unseren Posten bezogen, war mein
Landsturmkamerad zum Besuch angekommen, schwirrte das erste Auto heran. ‚Schran-
724 Kögler (2008), 12.
725 Dringende Mahnung an die Lenker von Fahrzeugen aller Art, in: Grazer Tagblatt, 11.8.1914, 12.
726 Leonhard (2014), 145 f.; Verhey (2000), 147. Für Großbritannien fanden sich bis dato keine Be-
lege für dieses Gerücht, aber es wurden vor allem nachts zahlreiche Autos mit Schüssen gestoppt,
vgl. Müller (2002), 80.
727 Abseits der Grazer Presse ging Peter Rosegger in seinem veröffentlichten „Heimgärtners Tage-
buch“ auf die Autogeschichte ein. Sein subtiler Wachsamkeits-Appell lautete wie folgt: „Plötzlich
erhob sich das Gerücht, von Paris sei ein Automobil auf dem Wege, um drei Milliarden Franken
nach Rußland zu bringen. Durch unser Tal müsse es kommen und die Ortschaften wären be-
hördlich aufgefordert es anzuhalten. Und richtig wurde einem Dorfe telegraphisch angezeigt, daß
ein verdächtiges Auto komme. Sogleich stellte die Dorfmiliz sich mit Säbel und Revolver an die
Straße, fing den Wagen ab und verlangte von den Insassen Legitimation. Die Reisenden wiesen
sich aus als – Beamte unseres Kriegsministeriums. Sie lobten die Wachsamkeit des Landes. Die
Dorfmiliz war stolz auf die Anerkennung, aber die drei Milliarden wären ihr noch lieber gewe-
sen.“ Aus: Heimgärtners Tagebuch, in: Heimgarten (1914), Nr. 12, 938.
728 Vgl. dazu auch: Moll (2007a), 246–248.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453