Page - 440 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Schlussbetrachtung440
„Täglich zeigen Vorfälle in Graz und auswärts, daß die Zeiten der allgemeinen Aufre-
gung oft benützt werden, um an dem oder jenem persönliche Rache zu üben. Mitunter
genügt schon ein serbisch klingender Name, um sich einer Meute auszusetzten, die ir-
gend ein übelwollender Mensch ohne jeden Grund hetzt und leitet.“56
So korrelierte zum Beispiel das breite sowie wandlungsfähige Spektrum des Gefah-
renpotentials unverkennbar mit einer erhöhten Erregtheit (zeitgenössisch auch:
die „ernsten, aufgeregten Zeiten“57), die man quer durch die Milieus als unerträg-
lich empfand. Neben dem täglichen Abschätzen, wer ein Feind oder Freund war,
gab es nur wenige Grautöne, sehr wohl aber ein Nebeneinander der Menschen.
Das zeigt sich zum Beispiel in der Weise, wie die Ausflüge der sozialdemokrati-
schen Kinderfreunde ins Grüne von den bürgerlichen Zeitungen wahrgenommen
wurden. Ihre Ausflüge wurden im ersten Kriegsjahr weder positiv noch negativ
beschrieben, was in Anbetracht einer Zeit, die so ziemlich jedes Alltagsmoment
auf seine „Einheitstauglichkeit“ hin überprüfte, ein wenig irritiert. Es gab daher
zu Kriegsbeginn nicht nur ein gesellschaftliches Miteinander, wie man es am Gra-
zer Frauenhilfskomitee erkennen kann, oder ein gesellschaftliches Gegeneinan-
der, wie man es an den zahlreichen Beschwerden, Zurechtweisungen und Aus-
einandersetzungen (Nationalitätenkonflikt, Pressepolemik) sieht, sondern auch
ein gesellschaftliches Nebeneinander, wo man sich entweder notgedrungen und
stillschweigend akzeptierte und duldete oder wo man sich unter Umständen gar
nicht wahrnahm (wahrnehmen wollte). Für das nächste Beispiel trifft dies nicht
zu. Konkret handelt es sich im Folgenden um einen „Sachverhalt“, der für einige
ein Problem darstellte. Eigentlich war es gar kein Sachverhalt im strengen Sinne.
Tatsächlich war es mehr die Folge einer Falschmeldung. Die wöchentliche Grazer
Vorortezeitung beanstandete Anfang August, dass die Grazer Straßenbahnen, im
Gegensatz zu den Staatseisenbahnen, den Einberufenen keine kostenlose Benüt-
zung der Wagen gewähren würden:
„Daß die [...] Grazer Stadtbahn und Graz-Mariatrosterbahn zur Gewährung der freien
Fahrt nach der strengen Auslegung des Gesetzes nicht verpflichtet sind, dürfte seine
Richtigkeit haben. Daß diese Verkehrsanstalten aber nicht aus freien Stücken freie Fahrt
gewähren, verdient zur öffentlichen Kenntnis gebracht zu werden.“58
56 Blinde Hetze gegen angebliche Serbenfreunde, in: Kleine Zeitung, 19.8.1914, 6.
57 Gegen Sensationsgerüchte, in: Grazer Tagblatt, 3.8.1914 (Abendausgabe), 7.
58 Mariatrost. (Freie Fahrt auf Eisenbahnen.), in: Grazer Vorortezeitung, 2.8.1914, 2.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453