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Vor 1918
Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Entscheidungshilfen | 447 Dass die Presse solche Fälle aufgriff (und vielleicht auch einige Male fingierte), um so den Krieg oder ein wie auch immer einheitskonformes Handeln konzipie- ren und legitimieren zu können, stellte keine Ausnahme dar. Die neue und bis dato ungewohnte Kriegssituation führte dazu, dass man sich eine neue Alltagsbewälti- gung überlegen musste. Gefordert wurde nicht nur die Feindaufklärung und die Früherkennung, sondern man musste auch lernen, auf gewisse Dinge zu achten, um sich selbst – wenngleich ohne Gewähr auf Sicherheit – schützen zu können. Und das unter erheblichem Aufwand betriebene Erlernen und Einüben dieser neuen Alltagsqualifikation musste unter enormem Zeitdruck erfolgen. Dabei kam es weniger darauf an, wo man sich wann aufhielt, sondern primär darauf, wie man sich in einer konkreten Situation verhielt (besser gesagt: wie man von jemand an- derem wahrgenommen wurde). Man konnte schnell und ohne Wissen hierüber als (ein präventiv zu unterbin- dendes) Risiko, als (ein zu überredendes oder zu überzeugendes) „An-der-Kippe- zum-Feind-stehendes-Moment“ oder gar als (ein festzunehmender) Feind des Staats, der „Einheit“ oder diverser Interessen eingestuft werden. Aus der Rück- schau lässt sich erkennen, dass auf den Straßen in ein und derselben Zivilperson die klassischen Grenzen zwischen Normgeber, Normanwender und Normadressat durchaus verschwimmen konnten. Die traditionellen Normgeber und Norman- wender bestanden zwar – in veränderter Form – weiterhin, aber die neuen Alltags- situationen der ersten Kriegsmonate zeigen, dass nun schlagartig auch Zivilperso- nen – zum Teil gewalttätig – ihre Normen auf der Straße anwandten. Der Historiker Jörn Leonhard spricht hierbei treffenderweise von einer „Herr- schaft des Verdachts“, die sich in allen Kriegsstaaten ausbreitete.84 Diejenigen Frauen, die an der „Heimatfront“ waren, waren daher nicht nur einer Doppel- und Dreifachbelastung (außerhäusliche Arbeit, Hausarbeit, Ernährung, Betreuung, Er- ziehung), sondern – infolge der „Herrschaft des Verdachts“ – letztendlich einer unbestimmbaren Mehrfachbelastung ausgesetzt. Sie waren aber wie die Männer nicht nur von der „Herrschaft des Verdachts“ (passiv) betroffen, sondern sie tru- gen auch zu deren Entstehung bei. Frauen demonstrierten vor Geschäften. Frauen beteiligten sich an den „Lynchaktionen“. So lässt sich auch für Graz festhalten, dass die „Herrschaft des Verdachts“ (Jörn Leonhard) und die (von mir konzeptionell angebotene) „Herrschaft des Prüfens“ das Vertrauen in den Mitmenschen nach- haltig erschütterte. Und die Tatsache, dass es bezüglich der innerstädtischen Über- Feststellung, in: Grazer Tagblatt 8.11.1914 (2.  Morgenausgabe), 3; Feststellung, in: Arbeiterwille, 8.11.1914, 8. 84 Begriff nach Jörn Leonhard (2014), 209, 224, 262, 369, 400, 508, 545, 696, 779, 939, 1002.
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Graz 1914 Der Volkskrieg auf der Straße
Title
Graz 1914
Subtitle
Der Volkskrieg auf der Straße
Author
Bernhard Thonhofer
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien - Köln- Weimar
Date
2018
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20569-2
Size
17.4 x 24.5 cm
Pages
510
Keywords
Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
Categories
Geschichte Vor 1918

Table of contents

  1. Rahmenbedingungen 15
    1. Forschungsgeschichte 15
    2. Forschungsstand 25
    3. Fragenhorizont 35
    4. Erkenntnisbarrieren 36
    5. Mikrohistorie 40
    6. Vier Leitpanoramen 52
    7. Argumentationsstrang 65
  2. Sarajevoer Attentat und Graz 69
    1. Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
    2. Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
    3. Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
    4. Intensive Julipolemik 88
    5. Der „Demarche-Rummel“ 99
    6. Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
    7. Fallende Börsenkurse 110
    8. Ultimatum an Serbien 112
    9. Lokalisierungsfrage 116
    10. Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
    11. Zur Trauerstimmung 122
  3. Innenstadt und Bahnhof 135
    1. Kein Telefonnetz 135
    2. Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
    3. Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
    4. Offengelegte Zeitungspolitik 151
    5. Unklare Mobilisierungsplakate 154
    6. Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
    7. Grazer „Feldlager“ 166
    8. Die letzten Tage im Juli 170
    9. Großbritannien und Italien 176
    10. Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
    11. Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
    12. Abschiedsszenen 194
    13. Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
    14. Ein „Denkmalfrevel“ 212
    15. Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
    16. Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
    17. Präventivzensur 227
    18. Erste „Soldatenerzählungen“ 234
    19. Grazer Frauenhilfskomitee 245
    20. Transportkolonne am Bahnhof 252
  4. Alltag und Einheitsprüfungen 257
    1. Arbeitslosigkeit 257
    2. Andrang auf die Geldinstitute 267
    3. Ausstattungsfrage und Postämter 276
    4. Hamsterkäufe 284
    5. Mietzins 299
    6. Kirchen und Friedhöfe 303
    7. Verlustlisten 318
    8. Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
    9. Ausschreitungen 333
    10. Demonstrationen vor Geschäften 340
    11. Über die „Sprachbereinigung“ 346
    12. Modeboykott 354
    13. Soldaten abseits der Truppe 363
    14. Neue Wachposten 374
    15. Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
    16. Pfadfinder und Wandervogel 389
    17. Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
    18. Diebstahl und Betrug 404
    19. Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
  5. Schlussbetrachtung 423
    1. Stadtlandschaft im „Volkskrieg“ 423
    2. Grazer Einheitsbildung 428
    3. Einheitsgruppen 431
    4. Notwendige „Heimatfront“ 434
    5. Einheitsbrüche 436
    6. Einheitsprüfungen 439
    7. Entscheidungshilfen 444
    8. Thesen 450
  6. Anhang 453
    1. Tafelteil: Orte des Geschehens 453
    2. Abkürzungen 461
    3. Quellen 463
    4. Literatur 467
    5. Bildnachweis 503
    6. Register 504
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