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24 Akteure in Agrarsystemen
systems sowie der damit zusammenhängenden Expertensysteme, etwa der Wissen-
schaft, stehen zwar nicht im Zentrum der Untersuchung, werden aber in ihren Wir-
kungen in den übrigen Feldern einbezogen (Abbildung 1.4). Von der Matrix dieser
ineinander verschachtelten Kräftefelder leitet sich nicht nur die Gliederung dieser
Untersuchung, sondern auch deren Titel ab : Schlachtfelder verweist einerseits auf den
Gegenstand, die nationalsozialistische Metapher der „Erzeugungsschlacht“,112 ande-
rerseits auf den system- und akteur
orientierten Kräftefeld-Ansatz.
In jedem Feld bringen Akteure für sie verfügbare materielle und immateri-
elle Ressourcen entlang von Tauschbeziehungen strategisch – d. h. vorbewussten
(„Habitus“) oder bewussten Strategien folgend113 – zum Einsatz.114 Die Strate-
gien des Ressourceneinsatzes und -tauschs beeinflussen die naturale und soziale
Nachhaltigkeit des Betriebs-Haushalts-Systems, dessen Verletzlichkeit und Resi-
lienz.115 Während sich die Wirtschaftswissenschaften auf Märkte konzentrieren,
kennen Wirtschaftsethnologie, -soziologie und -geschichte ein breiteres Spekt-
rum an Tauschbeziehungen,116 die nach Karl Polanyi in vier Grundformen zer-
fallen : Haushaltung, die Verteilung der Güter unter den Akteuren eines Haushalts
(z. B. Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln) ; Reziprozität, den (Gaben-)Tausch
zwischen einander persönlich bekannten Akteuren in alltäglichen Netzwerken
(z. B. Arbeitsteilung zwischen Bauern- und Häuslerfamilien) ; Redistribution, den
Tausch zwischen Akteuren und einer überregionalen Zentralmacht (z. B. staatliche
Steuerleistung) ; Vermarktung, den (Waren-)Tausch zwischen einander nicht not-
wendigerweise persönlich bekannten Akteuren auf überregionalen Märkten (z. B.
Vermarktungsgenossenschaft).117 Entgegen der Annahme einer historischen Ent-
wicklung von der Reziprozität über die Redistribution zum Markttausch ist von
veränderlichen Mischungsverhältnissen der Tauschformen auszugehen.118
Diese Studie sucht reale Ausprägungen dieser idealtypischen Tauschbeziehun-
gen in agrargesellschaftlichen Kräftefeldern zu bestimmen. Je nach Art des Feldes
stehen bestimmte Tauschbeziehungen im Mittelpunkt : Im Feld der alltäglichen
Betriebs- und Haushaltsführung (Kapitel 2) liegt der Fokus auf der Haushaltung ;
dabei geht vor allem um die Ausstattung der Betriebe und Haushalte mit Ressour-
cen wie Land, Arbeitskräften, technischen Einrichtungen, Gebäuden oder Vieh
sowie die Betriebserträge und Familieneinkommen
– kurz, um das „Haus“ als mul-
tifunktionale Produktions- und Reproduktionseinheit in politischer und ökonomi-
scher Abhängigkeit.119 Das Untersuchungsspektrum reicht von unterbäuerlichen
Haushalten über klein-, mittel- und großbäuerliche Höfe bis zu Gutsbetrieben ;
dies zeigt auch die unscharfen Grenzen des Agrarsektors zu anderen Wirtschafts-
zweigen auf. Auf regionaler, lokaler und betrieblicher Ebene werden die wesent-
lichsten Ausprägungen von Agrarsystemen und damit korrespondierenden Wirt-
schaftsstilen bestimmt.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937