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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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37Die Konstruktion des „Hoforganismus“ sätzlichen Momenten bestimmt : den „Kräften der Differenzierung“, die  – etwa zum Ausgleich von Arbeitsspitzen  – die Vielseitigkeit der Betriebszweige erfor- derten, und den „Kräften der Integrierung“, die  – etwa entsprechend der Verkehrs- lage  – zur Einseitigkeit der Betriebszweige drängten.7 In diesem Kräftedreieck, so die Annahme, entwickle sich das Betriebssystem wie ein Organismus in Zeit und Raum. Im Zentrum stand das Leitbild des  – männlichen  – „rationellen Landwirts“, der diese Schub- und Zugkräfte zu einem harmonischen, das standortabhängige Produktivitätspotenzial optimal ausschöpfenden Gleichgewichtszustand zu ver- binden vermochte.8 Während die Organismustheorie des landwirtschaftlichen Betriebes zunächst auf Größenunterschiede kaum Rücksicht nahm und allein die betriebliche Seite betrachtete, arbeiteten Ernst Laur in der Schweiz und Alexander Tschajanow in Russland an Theorien der (klein-)bäuerlichen Familienwirtschaft. „Der bäuerli- che Betrieb ist eng verbunden mit der ganzen Lebensführung der Bauernfami- lie“9  – diese Annahme erforderte anstelle eines einfachen Betriebs- ein gekoppeltes Haushalts-Betriebs-System, in dem Produktions- und Konsumentscheidungen einander wechselseitig beeinflussen. Somit verband sich die Logik des Landwirts, der nach größtmöglichem Reinertrag strebt, mit der Logik der bäuerlichen Familie im Sinn des „Gleichgewicht[s] zwischen Arbeitsbeschwerlichkeit und Bedürfnis- befriedigung“10. Als Vermittler der Lehren Laurs und Tschajanows in Österreich in den 1920er und 1930er Jahren wirkte Ernst Conrad Sedlmayr, der den Absolven- ten der Wiener Hochschule für Bodenkultur die „bäuerliche Landgutswirtschaft als lebenden Organismus“ vermittelte. Er bestimmte das „Wesen“ des Landwirt- schaftsbetriebs nicht, wie noch Aeroboe und Brinkmann, allein als „Ertragsquelle“, sondern zudem als „Arbeitsquelle“, „Quelle der Selbstversorgung“ und „Famili- enwirtschaft“11  – eine Sicht, die sein Schüler Anton Steden, Promotor der Buch- führungsstatistik in der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer in den 1920er und 1930er Jahren, übernahm.12 Damit war die allgemeine Organismus- theorie des landwirtschaftlichen Betriebes an die Besonderheiten der bäuerlichen Familienwirtschaft angenähert worden. Der ehemalige Assistent und Nachfolger des 1938 abgesetzten Steden auf dem Lehrstuhl für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Wiener Hochschule für Bo- denkultur, Ludwig Löhr,13 machte das Haushalts-Betriebs-System zur Grundlage einer dezidiert bäuerlichen, gegen die Vorstellung des „rationellen Landwirts“ ge- richteten Betriebslehre. Die Verwobenheit von Bauernfamilie und Betrieb äußere sich in einer „Schicksalskurve“ aus vier Zeitabschnitten : „Der erste Zeitabschnitt ist dadurch gekennzeichnet, daß der Jungbauer und seine Frau, unterstützt von den noch arbeitsfähigen, am Auszug stehenden Eltern, der Wirtschaft
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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