Page - 60 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Image of the Page - 60 -
Text of the Page - 60 -
60 Anatomie eines „lebenden Organismus“
Ergebnisse lagen daher meist über dem Landesdurchschnitt.76 Was den Rein-
ertrag betrifft, klafften die Ergebnisse zunächst nach Produktionsgebieten und,
in weiterer Folge, nach Betriebstypen auseinander. Die entsprechenden Durch-
schnitte und deren Streuungen wiesen die Betriebstypen der Voralpen und des
Waldviertels als wenig rentabel aus. Besser stand es um die Rentabilität im Alpen-
vorland und im östlichen Flach- und Hügelland – mit Ausnahme der Weinbau-
wirtschaften, die aufgrund ihrer dem Witterungsrisiko übermäßig ausgesetzten
Monokultur erheblich nachhinkten. Doch auch in den Gunstlagen erreichte nur
eine Minderheit der Betriebe – abgesehen von den hochrentablen Hackfrucht-
wirtschaften – die volkswirtschaftlich angemessene Verzinsung des Aktivvermö-
gens von 5 Prozent. Neben Produktionsgebieten und Betriebstypen schwankten
die Reinerträge auch nach Betriebsgrößen. Für die Getreidewirtschaften des
Waldviertels und die Getreide-Weinbauwirtschaften des östlichen Flach- und
Hügellandes lässt sich dieser Zusammenhang bemessen : Während in den Klein-
betrieben die Reinerträge ins Negative absackten, erreichten sie in den größeren
Mittelbetrieben der Extensivlagen und in den kleineren Mittelbetrieben der In-
tensivlagen Spitzenwerte (Tabelle 2.3).
An den Einkommen der bäuerlichen Haushalte erkennen wir die Tendenz, die
nach Produktionsgebieten, Betriebstypen und Betriebsgrößen unterschiedlichen
Einkommenseinbrüche aus der Landwirtschaft durch Nebeneinkommen aus-
zugleichen – was jedoch, wie im Fall der Waldviertler Futterwirtschaften, nicht
durchgängig möglich war. Stellen wir dem Einkommen den Verbrauch, die Summe
aus laufenden Barauslagen und Verpflegskosten, gegenüber, treten die Unterschiede
in der Lebenshaltung der Bauernfamilien klar zutage : Die Verbrauchsausgaben
pro Familienmitglied lagen im Alpenvorland und im östlichen Flach- und Hügel-
land sowie in den mittel- und großbäuerlichen Betrieben klar voran ; Spitzenreiter
waren die Hackfruchtwirtschaften mit jährlich 1.443 Schilling. Dagegen hinkten
sie in den Voralpen und im Waldviertel sowie in den kleinbäuerlichen Betrieben
erheblich nach ; das Schlusslicht bildeten die Waldviertler Futterwirtschaften mit
531 Schilling im Jahr (Tabelle 2.4). Die Buchführungsstatistiker schlossen daraus,
„wie sich die Familienmitarbeiter in ihrem Verbrauch nach der Decke zu strecken
trachten und es vermeiden, ihr Einkommen zu verleben. Freilich, je ärmer und klei-
ner die Höfe sind, desto höher wird leicht das Unterhaltserfordernis, welches das
Freieinkommen zu überragen droht.“77 Mit diesen gelenken, aber dürren Worten
wurde die prekäre Lebenshaltung bäuerlicher Familien in den Ungunstlagen Nie-
derösterreichs kurz vor dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich umrissen. Weitaus
unbeholfener, aber umso griffiger drückte ein Ortsbauernführer 1939 die Notlage
einer Waldviertler Futterwirtschaft aus :
back to the
book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937