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88 Anatomie eines „lebenden Organismus“
erforderte. Der entsprechende Schlüsselbegriff im Expertendiskurs lautete Inten-
sität. Intensive Betriebsführung zeichnet sich durch ein hohes Maß, extensive Be-
triebsführung durch ein geringes Maß an eingesetzten Ressourcen pro (Flächen-)
Einheit aus.130 Doch „intensiv“ war, ebenso wie das Gegenstück „extensiv“, ein
schillernder Begriff ; er konnte sich auf Arbeits- oder Kapitaleinsatz – oder beides
zugleich – beziehen. Wilfried Kahler, Abteilungsleiter in der Landesbauernschaft
Donauland, begriff damit einen Betrieb,
„der einen höheren Hackfruchtanteil hat, der die höhere Anbauintensität erzielt, der
mehr Saatgut, mehr Dünger zukauft, je Hektar Nutzfläche höhere Roherträge der
Bodenprodukte erzielt, einen höheren Viehbesatz, mehr Kühe je Flächeneinheit hat,
eine höhere Ausnutzung der Futterfläche (kleinere Futterfläche je Rind GVE), einen
höheren Milchertrag je Kuh und je Ha., einen höheren Schweinerohertrag erzielt,
mehr Futter zukauft, einen geringeren Arbeitsbesatz je Flächeneinheit, aber höhere
Arbeitskosten je Arbeitstag aufweist, je Flächeneinheit einen geringeren Zugviehbe-
satz, aber einen wesentlich höheren Gerätebesatz hat, der insgesamt einen höheren
Rohertrag, aber auch einen höheren Aufwand hat“.131
Diese Lesart propagierte eine hohe Kapitalintensität bei niedriger Arbeitsintensi-
tät, favorisierte folglich die Arbeits- vor der Bodenproduktivität. Damit ließ sie tra-
ditionelle Erfolgsmaßstäbe hinter sich und orientierte sich
– wie auch die deutsche
Agrarwissenschaft insgesamt
– an einer modernen betriebswirtschaftlichen Logik,
die dem verschobenen Faktorverhältnis von erweiterten Land- und verknappten
Arbeitsressourcen im deutschen „Großraum“ seit Kriegsbeginn Rechnung trug.132
Um die Kluft zwischen diesem Ideal und der betrieblichen Realität zu messen,
propagierte die Landesbauernschaft Donauland auf Buchführungsergebnissen ba-
sierende Richtzahlen ; diese unterschieden intensive „Erfolgsbetriebe“ und exten-
sive „Verlustbetriebe“. Ein regionaler Vergleich führt den Abstand zwischen den
durchwegs größeren und „rationeller“ geführten Buchführungsbetrieben und dem
Gros der Höfe vor Augen. Allein bei der Viehintensität übertraf die Region Mank
die „Verlustbetriebe“, und die Region Litschau erreichte sogar das Niveau der „Er-
folgsbetriebe“ (Tabelle 2.8).
Regionale und lokale Intensitätsdurchschnitte verschleiern mehr, als sie erhel-
len. Aber auch die Unterscheidung von „Erfolgs-“ und „Verlustbetrieben“ bildet
die Streuung der betrieblichen Intensitätsgrade nur schemenhaft ab. Erkunden wir
daher im Detail, wie die Besitzer/-innen Arbeits-, Vieh- und Maschinenressourcen
auf ihren Nutzflächen kombinierten. Was zunächst einfach erscheinen mag, wirft
in der Umsetzung ein Messproblem auf. Wenig sinnvoll wäre ein bloßes Zusam-
menzählen der Stückzahlen der unterschiedlichen Arten von Arbeitskräften, Vieh
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937