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97Blicke
hinter das Hoftor
Gesinde- und Taglöhner-Profil (< > >) mit 12 Betrieben oder 3 Prozent und das
Taglöhner-Profil (= < >) mit 10 Betrieben oder 2 Prozent fanden in dieser Region
kaum Verbreitung. Alles in allem fällt die Bilanz zwiespältig aus : Der vom Öko-
typen-Modell behauptete Zusammenhang zwischen Wirtschaftsweise, Arbeitsor-
ganisation und Haushaltsform ist teils – wie in Litschau – bestätigt, teils – wie in
Mank
– widerlegt worden ; teils
– wie in Matzen
– konnte er weder bestätigt, noch
widerlegt werden.
Bislang wurden nur die im Betrieb tätigen familieneigenen und -fremden Ar-
beitskräfte betrachtet ; ausständig sind noch jene Haushaltsangehörigen, die noch
nicht oder nicht mehr voll arbeitsfähig waren : Kinder, Alte, Kranke. Dieser Aspekt
der Haushaltsführung soll nun mittels des Zahlenverhältnisses der Verbraucher/-
innen zu den Arbeitskräften in der Besitzerfamilie, des V/A-Quotienten, einbezo-
gen werden (Tabelle 2.11).140 In allen drei Regionen kamen durchschnittlich 1,79
(± 1,07) Verbraucher/-innen auf eine Familienarbeitskraft. Im Durchschnittsbe-
reich lagen 409 Haushalte oder 26 Prozent ; darunter versammelte sich eine satte
Mehrheit von 758 Haushalten oder 49 Prozent ; darüber befanden sich 363 Haus-
halte oder 23 Prozent. Diese Verteilung findet sich in den Regionen mehr – wie
in Mank – oder weniger – wie in Matzen und Litschau – wieder. Etwas deutlicher
stellen sich die Zusammenhänge mit den Betriebstypen dar : In Matzen konzent-
rierten sich niedrige V/A-Quotienten in Hackfruchtwirtschaften, hohe Werte in
Weinbau- und Getreide-Weinbauwirtschaften. Unterdurchschnittlich viele „be-
köstigte Personen“ pro Familienarbeitskraft kennzeichneten die Manker Getreide-
und die Litschauer Futterwirtschaften, überdurchschnittliche Zahlen finden sich in
beiden Regionen in den Hackfruchtwirtschaften. Damit zeichnet sich der bereits
auf der Ebene der Produktionsgebietssprengel vermutete Zusammenhang zwischen
erhöhtem Versorgungsbedarf in der (unter-)bäuerlichen Familie und intensivierter
Landnutzung mittels Wein- und Hackfruchtbau auch auf der Betriebsebene ab.
Bislang sind wir von einer scheinbar selbstverständlichen, tatsächlich aber
höchst fragwürdigen Annahme der offiziellen Agrarstatistik ausgegangen : der
klaren Scheidung von Land- und Forstwirtschaft und anderen Wirtschaftszwei-
gen. Ein Blick in die Hofkarten und vor allem in die Kleinbetriebslisten erweist
vielfältige Kombinationen agrarischen und anderweitigen Erwerbs. Der national-
sozialistischen Norm des vollbäuerlichen Familienbetriebs mit erbhofrechtlich
verbriefter „Ackernahrung“141 stand in der Alltagspraxis ein Konglomerat unter-
nehmerischer und lohnabhängiger, agrarischer und außeragrarischer, ständiger und
gelegentlicher Erwerbszweige gegenüber.142 Josef Bergmann, Agrarexperte in der
Landesbauernschaft Donauland, erkannte in der Jahrhunderte langen „Verbin-
dung von Gewerbe und Landwirtschaft“ eine Grundlage bäuerlicher Existenz in
Wien, Nieder- und Oberdonau. Den „Rückgang dieser ländlichen Nebengewerbe“
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937