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Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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130 Anatomie eines „lebenden Organismus“ zu können, müssen wir zunächst  – dekonstruierend  – einen Blick durch dessen professionelle Brille werfen. In den 648 ausgewerteten Besichtigungsprotokollen finden sich die Namen von 26 landwirtschaftlichen Sachbearbeitern. Sie führten durchwegs den In- genieurs- oder Doktortitel, was ihre akademische  – agronomische oder juristi- sche  – Ausbildung belegt. Anhand von Merkmalen, die für die Beschreibung von Landwirtschaftsstilen aussagekräftig erscheinen, lassen sich für das Kollektiv der landwirtschaftlichen Sachbearbeiter individuelle Beurteilungsprofile erstellen. Ob diese Profile eher von den Beurteilten oder eher von den Beurteilenden und deren Ratgebern geprägt waren, lässt sich kaum bestimmen ; messbar ist jedoch der Ein- fluss der einzelnen Beurteilungsprofile auf die Gesamtstreuung der Urteile. Von den 26 Sachbearbeitern beeinflussten nur drei  – Schindler, Zsoldos und Peschke  – das Gesamturteil in überdurchschnittlicher Weise in Richtung des jeweiligen Ein- zelprofils. Schindler, der mit 53 Gutachten am häufigsten im Sample vertreten ist, gestand den Bauernfamilien in überdurchschnittlichem Maß Anspruchslosigkeit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu. Auch Zsoldos ist mit 49 Gutachten häufig vertreten ; er tendierte dazu, die (unter-)bäuerliche Betriebsführung als „fortschritt- lich“ und „sehr gut“ zu werten. Peschke, der mit zehn Gutachten zu den selteneren Sachbearbeitern zählt, betonte, ähnlich wie seine beiden Kollegen, Tüchtigkeit und Wirtschaftlichkeit der Betriebsinhaber ; zudem tendierte er aber auch zu strenge- ren Urteilen wie „nachlässig“, „spekulativ“ oder „unbeholfen“. Ebenso zeigten die Beurteilungsprofile ihrer Kollegen Tendenzen in die eine oder andere Richtung.193 Zwar zerfallen die Beurteilungsprofile der Sachbearbeiter in mehrere, in un- terschiedliche Richtungen weisende Varianten : Schindler, der ‚Empathische‘, Zsoldos, der ‚Enthusiast‘, Peschke, der ‚Skeptiker‘. Doch gesamt gesehen hoben sich die gegenläufigen Tendenzen der drei herausragenden Sachbearbeiter zum Teil wieder auf. Gleichwohl handelte es sich um eine kollektive, aus individuel- len Urteilen errichtete Konstruktion der „ordentlichen Betriebsführung“  – und nicht um das, was die Protokolle zu sein vorgaben : eine objektive Beschreibung der „Persönlichkeit und Wirtschaftsweise des Betriebsinhabers“. Die Bürokratie der Landstelle Wien bedurfte, wie jede andere Bürokratie, genau dieser Illusion der Objektivität, um ihrem alltäglichen, subjektiven Denken und Handeln einen Sinn zu verleihen. Dies äußerte sich nicht zuletzt in der Akribie, mit der die Sach- bearbeiter trotz der Vielzahl an Entschuldungsverfahren jeder einzelnen Betriebs- besichtigung widmeten ; in vielen Fällen, vor allem in der Anfangsphase, ergänzten sie die Fülle der Erhebungsmerkmale auf den Formularen um Randnotizen und Beilageblätter. Durch den akribischen Einsatz des agronomisch-juristischen Bil- dungskapitals zur Erfüllung der behördlichen Norm bestärkten die Sachbearbei- ter gewiss auch ihr Bewusstsein als Funktionselite des NS-Staates. Wie eine nach
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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